Volltext: Hier spricht der Feind

Erscheinungen, die damals mit dieser unsauberen Arbeit beschäftigt waren, heute 
als die rührigsten Sprecher ebenso unsauberer Verständigungen wiederzufinden 
sind. Möge sich die Jugend nicht täuschen lasten: Die Tugenden des Krieges 
und des Friedens sind eng verbunden, und wer, wenn es sein muß, nicht die 
Mittel des Kriegers mit Reinheit anzuwenden weiß, besten Bündnis besitzt 
keinen Wert. Auf anderes kommt es jetzt in Europa an als auf die Wiederher¬ 
stellung eines Zustandes, der einen Krieg und einen Frieden möglich machte, 
wie wir sie erleben mußten. Wichtiger ist die Vernichtung der Wertungen 
jener verlogenen Humanität, unter deren Oberfläche eine späte Demokratie ihre 
Jnteresien verfolgt. Bester dient dem Schicksal der Völker ein männlicher Geist, 
der die eigenen Grenzen kennt und die der anderen zu achten weiß. 
An einer Gesinnung, deren Kennzeichen im Kriege wie im Frieden die Unsauber¬ 
keit ist, hat der wirkliche Soldat niemals teilgenommen; es läßt sich sagen, daß 
man nicht nur im physischen Sinne im Kriege dem Feinde nirgends näher stand 
als an der Front. Daher wird man auch in den Aufzeichnungen echter Soldaten 
stets auf eine Haltung stoßen, die eine hohe Vorstellung vom Gegner besitzt. 
Der Mangel an Haß, an niederen Instinkten, verbunden mit Selbstbewußtsein, ist 
ein sicherer Maßstab für den Grad, in dem jemand am Kampfe beteiligt war. 
Es hat sich in den Jahren nach dem Kriege zwischen den Völkern ein Austausch 
von persönlichen Erlebnisberichten angebahnt. Auch hier zeigte sich, daß man 
sich noch nicht imstande fühlte, den wahren Feind, die Gestalt, in der sich ein 
anderes und besonderes Schicksal zum Ausdruck bringt, ertragen zu können. So 
beschränkte man sich auf jene geistige Ware, die am leichtesten über die Grenzen 
schwimmt, und bei der es kaum eine Rolle spielt, auf welchem Boden sie gewachsen 
ist. Sie ist daher auch nicht fähig, die Wirklichkeit des Krieges zu vermitteln, 
hinter der sich der verzweifelte Kampf verschiedenartiger Lebensgesetze verbirgt. 
Die Sprache, die hier so flüstig gesprochen wird, ist die der konventionellen 
Humanität, die in jedem zivilisierten Lande mit derselben Leichtigkeit wie 
Maschinengewehre und Giftgase erzeugt werden kann. Würde man etwa nach 
hundert Jahren allein auf Quellen dieser Art angewiesen sein, so würden die 
ungeheure Wucht und der unerhörte Aufwand an Mitteln, durch die sich die 
Schlachten dieses Krieges auszeichnen, vollkommen unverständlich sein. Cs ist 
aber unverkennbar, daß hier ein neues Bild der Welt auf dem Spiele steht, 
und daß dieses Bewußtsein beim Träger dieser Schlachten, beim Krieger, im 
Innersten lebendig ist und das Maß seiner Kampfkraft bestimmt. Daher ist es 
für uns weit wichtiger, uns über die Haltung des einfachen und wahrhaften 
Soldaten auf der anderen Seite, wie sie etwa in einem Fort von Verdun oder 
auf einem Kriegsschiff während der Skagerrakschlacht Geschichte machte, zu 
unterrichten, als von jenem Pathos Kenntnis zu nehmen, das hinter jedem 
Schreibtisch Europas so billig zu erzeugen ist. 
U
	        
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