Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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mittelbarem Einfluß, ist und bleibt das menschliche Herz böse; 
wird nun in diesem Herzen die Gegenwart Gottes empfunden, 
so erhellt sich plötzlich der dunkle Abgrund des Bösen; in diesem 
Durchbruch der göttlichen Gnade offenbart sich plötzlich in seiner 
ganzen Tiefe der Gegensatz zwischen Gnade und Sünde, zwischen 
dem Guten, das von Gott kommt, und der radical bösen Men 
schennatur : das Gefühl des göttlichen Einflusses ist zugleich die 
Empfindung dieses Gegensatzes in seinem ganzen Umfange, in 
seiner ganzen Liefe. Jetzt erst erkennt sich der Mensch als böse, 
erst unter Gottes unmittelbarem Einfluß erschließt sich im Men 
schen die moralische Selbsterkenntniß. Diese Selbsterkenntniß 
wird hier als unmittelbare Wirkung Gottes empfunden, sie be 
steht in der tiefsten Zerknirschung, in dem unendlichen Sünden 
bewußtsein; je sündhafter der Mensch sich fühlt, um so inniger 
zugleich fühlt er den göttlichen Einfluß, um so gewisser ist er der 
göttlichen Gnade: das Sündenbewußtsein selbst wird zum reli 
giösen Genuß. Die Sünde trennt von Gott; das Gefühl der 
Sünde ist zugleich das Gefühl der Trennung, die schmerzliche 
Empfindung derselben, dieser Schmerz ist Sehnsucht nach Gott, 
und eine solche Sehnsucht kann in dem menschlichen, von Natur 
bösen Herzen nur durch Gott selbst erweckt werden. Wer auf 
diesem Wege die Erlösung sucht, kann nicht tief genug die eigene 
Sünde empfinden und sich selbst gar nicht genug thun in diesem 
Sündenbewußtsein, in dem Schmerz über seine eigene Sünd 
haftigkeit. Jede Einschränkung dieses Schmerzes, jede Genug 
thuung im Gefühl der Sünde ist schon Selbstgerechtigkeit, d. h. 
neue Verhärtung im Bösen. „Hier geschieht die Scheidung des 
Guten vom Bösen durch eine übernatürliche Operation, die Zer 
knirschung und Zermalmung des Herzens in der Buße, als einem 
nahe an Verzweiflung grenzenden, aber doch auch nur durch den
	        
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