Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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Tugend und die sittliche Wiedergeburt den Anfang gemacht hat, 
können wir vollkommen gewiß sein, daß das Ende die Erlösung 
sein wird. Ohne diese Bedingung ist aller Glaube unsicher; er 
fühlt sich auch unsicher; das Gefühl dieser Unsicherheit und nichts 
Anderes ist es, das den Glauben so leicht fanatisch macht. Nur 
der moralische Glaube ist nie fanatisch, weil er seiner Sache ganz 
gewiß ist. Jede Ueberzeugung, die im Innersten die Gewißheit 
entbehrt, auf der sie fest und sicher ruht, wird böse, wenn ihr 
eine andere Ueberzeugung widerspricht, wenn sie auch nur einer 
anderen Ueberzeugung begegnet. Daß sie sich erhitzt und böse 
wird, ist der Anfang des Fanatismus und die Folge ihrer eigenen 
innersten Unsicherheit. Die Erscheinung des Fanatismus ist nicht 
anders zu erklären. Hier zeigt sich, warum der Fanatismus be 
sonders in der Religion zu Hause ist: weil hier die Ueberzeugun 
gen gar nichts gelten, wenn sie nicht absolut gewiß sind. Nur 
vollkommene Gewißheit giebt dem Glauben das sichere und nie 
wankende Gefühl des wahren Muthes; diesen Muth hat nur der 
moralische Glaube, kein anderer; von diesem Muthe ist z. B. 
der Haß des jüdischen Glaubens gegen die Nichtjuden, der Stolz 
des alten Islam, die Kleinmüthigkeit der Hindus, die passive 
Frömmigkeit einer gewissen Form des christlichen Glaubens durch 
aus verschieden. Die Tugend allein giebt den Muth, auf eige 
nen Füßen zu stehen. Wenn der Glaube auf einem anderen 
Grunde ruht, so hält er sich an Bedingungen, von denen er nie 
gewiß sein kann, daß sie erlösende Kraft haben. In Wahrheit 
ist er auch ungewiß und unsicher trotz aller Sicherheit, die zu 
besitzen er sich und anderen einbildet. Sein ganzes Ansehen zeugt 
gegen ihn, er sieht nicht aus wie Einer, der innerlich seiner Sache 
vollkommen gewiß ist; er hofft alles von der göttlichen Gnade, 
alles davon, daß er an diese Gnade glaubt; er ist nur besorgt,
	        
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