Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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Unser Gottesdienst richtet sich nach unserem Gottesglauben. 
Der religiöse Inhalt des letzteren ist Gott als moralischer Gesetz 
geber der Welt, die Sittengebote (Pflichten) als Gottesgebote. 
Dieser Inhalt gilt in zwei möglichen Formen oder Vorstellungs 
weisen: entweder erscheinen uns jene Gebote darum als sittlich 
und verpflichtend, weil sie der göttliche Wille gegeben hat, oder 
sie erscheinen darum als göttlich, weil sie die ewigen Forderungen 
der sittlichen Vernunft sind. Im ersten Fall ist der Glaubens 
inhalt geoffenbart, weil er bestimmt wird durch eine göttliche 
Willensäußerung; im zweiten ist er natürlich, weil er gegeben 
ist durch unsere eigene Vernunft: jene Vorstellungsweise macht 
die „geoffenbarte", diese die „natürliche Religion". 
Das Verhältniß zwischen Offenbarungs- und Vernunft 
glauben läßt sich aus drei Standpunkten beurtheilen: entweder 
gelten beide für unvereinbar, oder ihre Vereinigung gilt den Einen ; 
als eine mögliche, den Anderen als eine nothwendige; der erste 
Standpunkt erklärt die Offenbarung für unmöglich, der zweite 
läßt sie gelten (ohne sie für nothwendig zu halten), der dritte 
fordert sie; die „Naturalisten" verneinen die Offenbarung, die 
„Rationalisten" räumen ihre Möglichkeit ein, die „Supernatu 
ralisten" behaupten die Nothwendigkeit der Offenbarung. 
Wie urtheilt die kritische Philosophie? Sie kann die Un 
möglichkeit der Offenbarung nicht beweisen und darum auch nicht 
behaupten: daher stimmt sie nicht mit den Naturalisten, die ihr 
dogmatisch erscheinen. Da sie die Unmöglichkeit der Offenbarung 
nicht beweisen kann, so kann sie auch deren Möglichkeit nicht 
widerlegen, sie läßt dieselbe gelten und stimmt in diesem Punkte 
mit den Rationalisten; sie kann die Nothwendigkeit der Offen- 
und Afterdienst unter der Herrschaft des guten Princips oder von Reli 
gion und Psaffenthum. — Bd. VI. S. 329—332,
	        
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