Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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Der ethische Staat unterscheidet sich vom Rechtsstaate, wie 
die Herrschaft des moralischen Gesetzes von der des juristischen. 
Im Rechtsstaat herrscht das Gesetz durch den Zwang, ganz un 
abhängig von der Gesinnung der einzelnen im Staate vereinig 
ten Menschen; es ist gut, wenn auch die Gesinnung mit dem 
Gesetz übereinstimmt, aber auf diese Uebereinstimmung wird hier 
nicht gerechnet; das Gesetz muß gelten auch ohne dieselbe, es 
gilt durch seine äußere Gewalt, es herrscht durch den Zwang. 
Dagegen in dem ethischen Staate, in dem moralischen Reiche 
herrscht das Gesetz bloß durch die Gesinnung, mithin ohne allen 
Zwang. 
Eine andere Aufgabe hat der juristische Staat, eine andere 
der ethische. Der juristische Staat beendet für immer den recht 
lichen Naturzustand der Menschen, der ethische Staat beendet 
den ethischen Naturzustand. Man muß den ethischen Naturzu 
stand wohl unterscheiden von dem rechtlichen. Beide decken sich 
keineswegs, beide sind gesetzlose Zustände, welche die gesetzmäßige 
Vereinigung ausschließen; in beiden verhalten sich die Menschen 
feindselig zu einander, aber im rechtlichen Naturzustände befehden 
sich die Rechte der einzelnen Personen, deren jede ihr Recht so 
weit ausdehnt als sie vermag, unbekümmert um die Rechtssphäre 
der anderen; im ethischen Naturzustände dagegen befehden sich 
die Gesinnungen. Daher reicht der ethische Naturzustand weiter 
als der rechtliche. Er besteht fort, nachdem dieser schon längst 
aufgehört hat; er erstreckt sich mitten hinein in den bürgerlichen 
Staat. Den ethischen Naturzustand hebt der bürgerliche Staat 
nicht auf. Unter der Herrschaft und dem Schutze der äußeren 
Rechtsgesetze regiert ungebrochen die Selbstliebe im menschlichen 
Willen, stehen einander die Gesinnungen feindselig gegenüber 
wie im alten Naturzustände. Das äußerlich geltende, unwider-
	        
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