Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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das moralische Ideal. Die Menschheit hat keinen anderen und 
höheren Zweck, als diesem Ideale gleichzukommen; die Welt hat 
keinen anderen Zweck, als vernünftige Weltwesen zu erzeugen, 
ihr Zweck ist die Menschheit, ihr Endzweck also die moralisch 
vollkommene Menschheit oder das moralische Ideal. 
Wenn wir von einem moralischen Weltzwecke reden, so ver 
steht sich von selbst, daß wir ein intelligentes Vermögen, wel 
ches allein einen solchen Zweck bestimmen und ausführen kann, 
also einen moralischen Welturheber voraussetzen. Gilt der Welt 
zweck als das moralische Ideal, dem die Menschheit gleichkommen 
soll, so muß Gott als der moralische Welturheber gelten: er hat 
die Welt erschaffen, damit sie jenen Zweck erfülle, er hat sie um 
des moralischen Ideals willen erschaffen. Also ist das moralische 
Ideal selbst nicht geschaffen, sondern ewig, wie Gott selbst. Die 
Idee der Menschheit ist unmittelbar göttlichen Ursprungs: sie ist, 
symbolisch ausgedrückt, „der ewige und eingeborene Sohn Got 
tes". Diese Idee ist der Zweck, zu dem die Welt geschaffen, sie 
ist der göttliche Beweggrund der Schöpfung, das göttliche Schö 
pfungsmotiv, der schöpferische Logos oder „das Wort, durch 
welches alle anderen Dinge sind, und ohne das nichts existirt, 
was gemacht ist"*). 
Das moralische Ideal ist die in einem Individuum verkör 
perte Idee der Menschheit. Dieses ideale Individuum ist ein 
vollkommener, d. h. göttlich gesinnter Mensch. Es ist, symbo 
lisch zu reden, das vom Himmel zu uns herabgestiegene Ebenbild 
Gottes oder Urbild der Menschheit: der menschgewordene Sohn 
Gottes. In der göttlichen Gesinnung allein liegt die Vollkom- 
*) Ebendas. II St. Erster Ab sch n. Von dem Rechtsanspruch des 
guten Princips auf die Herrschaft über den Menschen, a. Personificirte 
Idee des guten Princips. — Bd. VI. S. 223 flgd.
	        
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