Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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Beginn das Böse voraus: es ist kein Wachsen des Bösen, son 
dern ein Wachsen i m Bösen. Wollen wir uns den Ursprung 
des Bösen sinnbildlich in einer Zeitbegebenheit vorstellen, gleich 
sam den Anfang der Sünde, so hebt sich von selbst die Vorstel 
lung des stetigen Geschehens auf, dek Zusammenhang reißt in 
dem Moment, wo das Böse hervortritt; mit dem früheren Zu 
stande verglichen, erscheint das Böse nicht als Folge, sondern 
als Fall, wie auch die Bibel den Ursprung der ersten Sünde dar 
stellt nicht als Folge der Unschuld, sondern als Abfall von Gott, 
als den gewollten Ungehorsam gegen das göttliche Verbot, als den 
Hang des Menschen zur Abweichung von dem Gesetz, als die 
Verführung des Menschen durch einen bösen Geist, d. h. als die 
unerforschliche, durch keine empirische Ursache begreifliche, böse 
Neigung. In diesem Spiegel erblickt jeder seine Schuld. So 
verhält es sich mit dem Bösen in der Menschennatur überhaupt. 
Was von Adam erzählt wird, gilt von allen. „Mutato nomine 
de te fabula narratur! “ In diesem Sinne, nicht in dem der 
Erbsünde, gilt das Wort: „in Adam haben alle gesündigt"*). 
III. 
Die Erlösung vom Bösen. 
1. Das Gute als Selbstbesserung. 
Wenn aber der Mensch von Natur böse ist, wo bleibt die 
Möglichkeit des Guten? In dieser Frage liegt das eigentliche 
Glaubensproblem. Wie können wir vom radicalen Bösen erlöst 
werden? Die menschliche Natur ist vermöge ihrer Anlagen ur 
sprünglich zum Guten bestimmt, aber sie ist nicht ursprünglich 
gut, sondern durch ihren dem Sittengesetz abgewendeten Hang 
ursprünglich böse; sie soll gut sein: das fordert mit unbedingter 
Nothwendigkeit die sittliche Vernunft, der kategorische Imperativ. 
*) Ebendaselbst. Erstes St/ IV. - Bd. VI. S. 202-206. 
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