Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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ter „natürlich" an dieser Stelle nicht das Gegentheil der Will 
kür (Freiheit), sondern das der Bildung. Der Hang zum Bö 
sen ist nicht von außen in die menschliche Natur eingeführt wor 
den , er ist nicht im Laufe der Zeit erworben, er ist der mensch 
lichen Natur nicht angebildet, sondern ihr eigen: d. h. er ist an 
geboren oder natürlich. 
Dieser natürliche Hang entspringt nirgendwo anders als 
im Willen; er ist eine Willensthat, also moralisch, zurechnungs 
fähig , schul dig. Diese Schuld liegt in der ersten Willensrich 
tung, in der Wurzel des Willens; von hier aus ist der Wille 
im Princip verdorben worden: daher ist jener natürliche und zu 
gleich moralische Hang zum Bösen „radical" , er ist „das radicale 
Böse in der Menschennatur". 
Das Böse in seinen verschiedenen Gestalten der Gebrechlich 
keit, Unlauterkeit, Bösartigkeit ist unsere eigene Schuld. Die 
Schuld der Gebrechlichkeit und Unlauterkeit ist der schwache Wille, 
der nicht den Vorsatz zum Bösen hat, dem aber die Kraft zum 
Guten fehlt; die Schuld der Bösartigkeit ist der böse Wille, der 
sich mit Absicht gegen das Sittengesetz kehrt. Der schwache 
Wille richtet sich auf etwas anderes als das Sittengesetz, er ist 
nur auf das Gute nicht gerichtet; der böse Wille richtet sich auf 
das Gegentheil des Sittengesetzes. Beides ist moralische Schuld; 
verglichen mit der Schuld im juristischen Sinne, könnte der 
schwache Wille „culpa“, der böse „dolus“ genannt werden. Die 
ser ist die eigentliche Tücke des menschlichen Herzens, die nicht 
bloß den Keim des Bösen nährt, sondern den Keim des Guten 
untergräbt und die Gesinnung in der Selbstsucht verhärtet. Die 
Selbstliebe gilt hier als Maxime, als oberstes und alleiniges 
Motiv des Willens. Das Böse wird vermieden, nur so weit es 
schädlich ist oder der Selbstliebe widerspricht; das Gute wird an-
	        
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