Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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II. 
Das radicale Böse in der menschlichen Natur. 
1. Die Thatsache der bösen Gesinnung. 
Diese Frage zu entscheiden, lassen wir zuerst die Erfahrung 
ihr Zeugniß abgeben, soweit dieselbe im Stande ist, die sittliche 
Natur der Menschheit zu erkennen. Es sei die menschenkundigste 
Erfahrung in ihrem größten Umfange, die uns Auskunft gebe, 
wie ihr der empirische Charakter des Menschen erscheint in allen 
Zeiten, in allen Lagen des Lebens, in allen Zuständen der Bil 
dung. Ueberall erscheint der Mensch im Widerspruche mit dem 
Sittengesetz, im Widerspruche gegen dasselbe, nicht bloß in einem 
dem Sittengesetz ungleichen Zustande, den selbst die Tugend nicht 
ganz überwindet, sondern in einer dem Sittengesetz abgewende 
ten Richtung, die aus dem bösen Herzen hervorgeht. Wenn bei 
den rohen Naturvölkern die Triebe und Begierden bis zur äußer 
sten Wildheit, die Leidenschaften des Hasses und der Rache bis 
zur äußersten Grausamkeit sinn- und zügellos walten, so läßt 
sich dieser sittenlose Zustand aus dem Naturtriebe, aus der Roh 
heit der Natur, aus dem Mangel aller Bildung erklären. Wenn 
man aber bemerkt, daß die Grausamkeit nicht bloß eine Folge 
blinder Leidenschaft, sondern ein Object der Lust ist, daß diese 
Kinder der Natur ohne jede Rachbegierde martern können, bloß 
um sich an fremden Qualen zu erfreuen, so hat eine solche un 
gereizte, durch keinen Naturtrieb motivirte Grausamkeit keinen an 
deren Grund, als die natürliche Bosheit. Betrachten wir die 
Menschen im Zustande der am weitesten vorgerückten Bildung 
und prüfen ihr Inneres, so versteckt es sich zwar, so gut es geht, 
unter dem Scheine der Tugend, aber dicht unter der Oberfläche 
zeigt sich überall der wurmstichige Kern. Hinter dem Vertrauen,
	        
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