Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

396 
direkte Gegentheil bilden. Wenn überhaupt keine Maximen, son 
dern nur Begierden und Neigungen den Willen treiben, so sind 
die Neigungen der Natur stärker als die Maximen, stärker als 
der Wille, so ist der Wille schwach: das ist „die Gebrechlichkeit" 
der menschlichen Natur; „das Wollen habe ich wohl, aber das 
Vollbringen fehlt." Wenn sich mit der Pflicht noch andere Trieb- ^ 
federn vermischen und die Selbstliebe mit in den Beweggrund : ^ 
der Handlung einfließt, so ist dieß „die Unlauterkeit" des mensch- g 
lichen Herzens. Wenn endlich statt des Sittengesetzes die entge 
gengesetzte Maxime den Willen bestimmt, wenn die Selbstsucht g 
nicht bloß als mitwirkende Triebfeder die Gesinnung trübt, son- ^ 
dern als alleinige Maxime herrscht, so besteht darin „die Bösar- ! ^ 
tigkeit" des Willens, die Verderbtheit oder Verkehrtheit des mensch- ^ 
lichen Herzens. 
Wenn nun der Wille in seiner ursprünglichen Richtung, t 
d. h. in seinem Hange, sich von dem Sittengesetz abwendet und ^ 
durch diese Abweichung die Gebrechlichkeit, Unlauterkeit, Bösar- ^ 
tigkeit in die menschliche Natur einführt, so ist der Mensch von 
Natur böse. Dieser Hang ist dann der erste Grund oder die - 
Wurzel des Bösen. Als Hang ist er Willensrichtung, also Wil- j 
lensthat vor der wirklichen empirischen Handlung, also verschul 
det und darum selbst böse. Er ist das ursprüngliche Böse, die j 
Ursünde im Menschen, das „peccatum origmarium“, womit 
verglichen, alle anderen bösen Handlungen Folgen „peccata de- 
rivata“ sind. Die ganze Frage läuft also darauf hinaus: ob sich 
der Wille in seinem ursprünglichen Hange vom Sittengesetz ab 
wendet oder nichts? 
*) Ebendas. Erstes Stück. II. Von dem Hange zum Bösen in 
der menschlichen Natur. — Bd. VI. S. 188—192.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.