Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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Liebesblick, nicht dem Guten gehöret die Erde", so ist wenigstens 
in dieser so beschaffenen Welt die Gerechtigkeit nicht einheimisch. j 
Wegreden läßt sich dieser Widerspruch nicht. Erwartet man 1 
seine Lösung in einer anderen, künftigen Welt, so ist dieß eine 
gläubige Hoffnung, aber kein wissenschaftlicher Beweis. 
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3. Unmöglichkeit einer doctrinalen Theodicee. 
Das Ergebniß heißt: man kann die göttliche Weltregierung : 
nicht dogmatisch beweisen, auch nicht deren Gegentheil. Die 
dafür aufgebrachten Beweise lassen sich durch so viele Zweifel ent 
kräften , aber ebensowenig gelten die Beweise dagegen. So hat 
in der philosophischen Theodicee weder der Vertheidiger noch der 
Ankläger Recht; der Richter in dieser Sache kann weder los 
sprechen noch verurtheilen, es bleibt ihm nichts übrig, um ver 
gleichungsweise zu reden, als von der Instanz zu absolviren und 
die ganze Frage abzuweisen als eine solche, die keine richterliche 
Entscheidung zuläßt. 
Wenn wir dessenungeachtet die göttliche Weltregierung und 
deren absolute Gerechtigkeit aus Vernunftgründen annehmen müs 
sen, so werden diese Gründe nicht wissenschaftliche, sondern nur 
moralische sein können. Die Theodicee ist kein Gegenstand der 
Einsicht, sondern des Glaubens; sie ist nicht philosophisch, son 
dern moralisch. Vergleichen wir damit die Theodicee in der ehr 
würdigen Form der altbiblischen Erzählung, den Streit zwischen 
Hiob und seinen Freunden, so wollen die letzteren die vernünf 
telnden Vertheidiger der göttlichen Gerechtigkeit sein, die Philo 
sophen der Theodicee, die „doctrinalen Interpreten" der gött 
lichen Weltregierung; sie schließen aus Hiob's Leiden auf dessen 
Sünden, sie können das Leiden nur als verschuldetes Uebel be 
greifen und machen die göttliche Gerechtigkeit zum Obersatz ihrer
	        
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