Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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oder katechetisch, wenn der Schüler bloß antwortet, und alles 
aus ihm herausgefragt wird. Es ist die Form des sokratischen 
Unterrichts. 
Nichts wird besser und deutlicher begriffen und zugleich 
sicherer festgehalten, als was man selbst findet. Was daher 
sokratisch unterrichtet werden kann, soll sokratisch unterrichtet 
werden. Historische Thatsachen wollen überliefert sein, man 
kann sie nicht durch eigenes Nachdenken finden. Anders verhält 
es sich mit den Vernunftbegriffen, wie z. B. den mathematischen 
und ethischen. Alle Vernunftbegriffe lassen sich abfragen, wenn 
der Lehrer richtig zu fragen versteht, und der Schüler den erfor- : 
derlichen Grad des Nachdenkens besitzt. Die gesammte kantische 
Philosophie ließe sich, wie die platonische, in Dialogen vortragen, 
denn sie hat es durchgängig mit Vernunftbegriffen zu thun. Hier 
ist der Punkt, in dem man die kantische Philosophie mit der 
sokratischen vergleichen darf, nur daß der letzteren fehlt, was die 
kantische in entwickelter Ausbildung besitzt: die Form des Systems. 
Für den Unterricht in der Sittenlehre fordert Kant die kateche- 
tische Methode. Nicht durch Beispiele soll die sittliche Denkungs- 
weise gebildet werden, sondern durch Grundsätze; Beispiele dür 
fen im sittlichen Unterrichte nie als Vorbilder zur persönlichen 
Nachahmung, sondern bloß als Zeugnisse für die Thunlichkeit der 
Sache gebraucht werden. Um die ethische Unterrichtsmethode, 
wie er sie verlangt, in ihrer Anwendbarkeit zu zeigen, entwirft 
Kant das Bruchstück eines „moralischen Katechismus". Er läßt 
den Schüler durch richtig gestellte Fragen selbst die sittlichen Be 
griffe bilden: wie die Sorge für das Wohlbefinden zwar ein 
naheliegender und natürlicher, aber keineswegs der letzte und un 
bedingte Zweck unserer Handlungen sein könne; wie die mensch 
liche Glückseligkeit bedingt sei durch die Würdigkeit, und diese
	        
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