Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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Geschichte mancher heißblütig geschlossenen, schnell durchlebten, 
plötzlich erkalteten Jugendfreundschaft. 
Wenn die Anziehungskraft in der Natur allein wirkte, so 
käme kein fester Körper zu Stande. Es ist ähnlich in der sitt 
lichen Welt. Nur aus dem Zusammenwirken von Anziehung und 
Abstoßung erklärt sich die körperliche Natur. Die sittliche An 
ziehungskraft ist die Liebe. Es giebt auch eine Repulsion in 
der sittlichen Welt; die unsittliche Zurückstoßung ist der Haß, die 
sittliche Repulsion ist die Achtung. Sie ist das wohlthätige 
Reagens der Liebe, die berechtigte Einschränkung derselben auf 
das richtige und dauernde Maß. Die gegenseitige Achtung be 
wahrt und hütet die unantastbaren Grenzen der persönlichen Frei 
heit, die nie veräußert werden darf. Sie nimmt der Liebe nichts 
an ihrer Innigkeit, sie giebt ihr den ruhigen, behaglichen, reifen, 
männlichen Charakter. Die wahre Freundschaft ist männlicher 
Natur. Wenn sich zwei Personen mit der größten Innigkeit 
und mit gleicher Stärke gegenseitig lieben und achten, so ist die 
Freundschaft vollendet, und in diesem Verhältniß besteht das mo 
ralische Ideal der geselligen Menschentugend. 
Gewiß sind die Bedingungen, welche der ideale Freund 
schaftsbund verlangt, von der seltensten Art. Diese rein mora 
lische Freundschaft ist wie der „schwarze Schwan", der selten 
zwar, aber doch hin und wieder wirklich existirt. Und wo eine 
solche Freundschaft wirklich geworden, da hat das menschliche Le 
ben bewiesen, daß es fähig ist zur Vollkommenheit. Wir wissen, 
was in Kant's eigenem Leben die Freundschaft gegolten. Er 
kannte kein anderes Verhältniß. Und wie er selbst in seinem Le 
ben die Freundschaft empfunden, so würdigt er sie am Ende seiner 
Tugendlehre. Man fühlt, mit welcher Wärme diese Stellen ge 
schrieben sind. Von ihm selbst, von seinem eigenen Freund-
	        
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