Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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führen, die Annehmlichkeit in der Gesellschaft, die Verträglichkeit, 
die wechselseitige Liebe und Achtung zu cultiviren und so der Tu 
gend die Grazien beizugesellen, welches zu bewerkstelligen selbst 
Tugendpflicht ist." In dieser Tugendpflicht vereinigen sich dem 
nach die beiden Richtungen, die das Sittengesetz bezeichnet, die 
Pflichten gegen sich selbst und gegen die anderen Menschen*). 
Denken wir uns ein menschliches Verhältniß, in welchem, 
sich die gegenseitigen Pflichten der Liebe und Achtung vollkommen 
erfüllen, so wäre dieses Verhältniß ein moralisches Ideal, eine 
in sich vollendete Darstellung menschlicher Sittlichkeit. Ob es 
ein solches Ideal giebt? Das Verhältniß ist rein moralisch, also 
darf es nicht in einer juristischen Form gesucht werden, nicht i» 
solchen Verhältnissen, die in irgend einer Rücksicht den Rechts 
zwang erleiden; wir'suchen jenes ideale Verhältniß nicht in dm 
Verbindungen, welche Familie oder Staat stiften. Es sind freie 
Personen, die einen Bund schließen, unabhängig von allen gegen 
seitigen Rechtsansprüchen, gegründet lediglich auf gegenseitige 
Liebe und Achtung. Die vollkommene Gegenseitigkeit ist die voll 
kommene Gleichheit. Es mischt sich in dieses Verhältniß 
von persönlichem Vortheil, den etwa der Eine in der Verbindung 
mit dem Anderen sucht. Das Verhältniß ist in dieser Rücksicht 
das zarteste, das es giebt; es ist um so fester, je inniger die Liebe, 
größer die Achtung von beiden Seiten ist. Die Menschenliebe 
umfaßt alle, aber nicht mit derselben Innigkeit; sie ist in der 
engsten Sphäre am innigsten und kann sich nur hier in ihrer gan 
zen Stärke als sittliche Gesinnung und gemüthliche Theilnahme 
zugleich offenbaren: diese engste Sphäre ist der Bund zweier Per 
sonen, der Freundschaftsbund. Die Freundschaft ist nicht 
*) Ebendas. I Th. II Buch. II Hptst. Beschluß der Elementar!. 
2. Zusatz. 8. 48.
	        
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