Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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der sein Opfer aufsucht, dieses Opfer sei unser Freund; so dür 
fen wir selbst in diesem äußersten Falle den Mörder nicht belügen, 
wenn er uns nach dem Aufenthalte des Verfolgten frägt. Ben 
jamin Constant hat in einer französischen Zeitschrift diesen Satz 
3 encn des deutschen Philosophen zu widerlegen gesucht. Wenn der 
Grundsatz, die Wahrheit zu sagen, ohne alle Einschränkung gel- 
ten solle, so könne sich damit keine menschliche Gesellschaft ver 
tragen. Wir seien die Wahrheit zu sagen nur da verpflichtet, 
wo der Andere ein Recht auf die Wahrheit habe und ein solches 
^1 Recht könne der Mörder nie haben. Aehnlich ist Schopenhauer's 
• >c ^ t ' Einwurf gegen Kant. Die Pflicht, die Wahrheit zu sagen, hat 
ihre rechtlichen Einschränkungen und Ausnahmen. Kant ent- 
gegnete dem Franzosen, daß die Wahrhaftigkeit eine Pflicht nicht 
^ ^ gegen andere, sondern lediglich gegen uns selbst sei; niemand 
'^ en ' habe ein Recht auf Wahrheit, wir seien die Wahrhaftigkeit uns 
selbst und nur deßhalb jedem Anderen schuldig, 
chast Die Würde jeder Person ist unter allen Umständen dem 
Werthe der Sache übergeordnet und der Würde anderer Per 
sonen gleich. Es ist darum eine Selbstentwürdigung, wenn wir 
uns vom Besitze bis zur persönlichen Wegwerfung beherrschen 
lassen oder uns anderen Personen bis zur persönlichen Wegwer- 
' ^ fung unterordnen. Wird der Trieb zum Besitz Maxime, so ist 
diese Art der Selbstentwürdigung der Geiz, und zwar der karge 
durch ober die Knickerei. Wenn wir uns vor anderen Personen 
^ n ’ bis zur Wegwerfung demüthigen, so ist diese Art der Selbstent- 
s ei Würdigung die Servilität oder Kriecherei. Es muß alles ver- 
mieden werden, was entweder Servilität ist oder zur Servilität 
^ d" d. h. zur niederträchtigen Abhängigkeit von einem Anderen führt; 
dazu gehört jede knechtische Form, jedes Preisgeben des eigenen 
Rechts, alles Annehmen entbehrlicher Wohlthaten, die man nicht 
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