Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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die Glückseligkeit zur Regel und Richtschnur machen und damit 
die Gerechtigkeit vollkommen aufheben. „Das Strafgesetz ist ein 
kategorischer Imperativ und wehe dem, welcher die Schlangen 
windungen der Glückseligkeitslehre durchkriecht, um etwas aufzu 
finden, was durch den Vortheil, den es verspricht, ihn von der 
Strafe oder auch nur einem Grade derselben entbinde nach dem 
pharisäischen Wahlspruch: „„es ist besser, daß ein Mensch 
sterbe, als daß das ganze Volk verderbe;"" denn wenn die 
Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Werth 
mehr, daß Menschen aus Erden leben." 
Aus dem Wiedervergeltungsrechte folgt die Rechtmäßigkeit 
der Todesstrafe gegenüber dem Mörder. Die Todesstrafe ist 
schlechterdings nothwendig, nicht um der Zweckmäßigkeit, son 
dern um der Gerechtigkeit willen. Es ist eine falsche Philan 
thropie und zugleich eine sophistische Rechtsverdrehung, wenn der 
Marchese Beccaria dem Staate das Recht abspricht, einem 
Menschen das Leben zu nehmen. Warum soll der Staat dieses 
Recht nicht haben? Weil in dem Vertrage, worauf der Staat 
beruht, keiner eine Macht gewollt haben könne, die das Recht, 
ihn zu tödten, einschließe? Nur der schuldig erklärte Mörder 
wird getödtet. Als ob dieser anerkannte Mörder eine rechtsgül 
tige Stimme in der Gesetzgebung führen könnte, als ob er dieses 
Recht nicht durch den Mord verwirkt hätte! 
Dem Mörder gegenüber kann die Gerechtigkeit nur durch, 
den Tod, durch keine andere Strafe, befriedigt werden. Es 
giebt nichts, was die Todesstrafe ersetzt. Was würde an die 
Stelle der Todesstrafe treten, wenn man sie abschaffte? Die 
schimpflichste Freiheitsstrafe von lebenslänglicher Dauer. Man 
denke sich zwei Verbrecher, die beide den Tod verdient haben, 
von denen der Eine den Tod dem schimpflichsten und schlechtesten
	        
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