Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

177 
den die pflichtwidrige Handlung einträgt. Es ist mehr, wenn 
man um der Pflicht willen auch die Verluste hinnimmt, welche 
die pflichtmäßige Handlung herbeiführt. Und je schwerer, schmerz 
licher diese Verluste sind, je näher sie das Gemüth selbst treffen, 
um so reiner erscheint die so erkämpfte Tugend. Die ächte probe 
haltige Tugend erscheint im Leiden. Hier ist es, wo sich die sel 
tenen und erhebenden Beispiele finden, die man dem heranreifen 
den moralischen Sinne zum Vorbilde geben darf. In diesem 
Triumphe über die Natur offenbart sich der Mensch in seiner sitt 
lichen Würde, in seiner moralischen Geistesfreiheit*). 
IV. 
Sinnenwelt und Sittengesetz. 
Der Mensch ist Glied zugleich der sinnlichen und intelli- 
gibeln Welt. Die Sinnenwelt ist sein Gegenstand, die sittliche 
ist sein Product; jene ist eine Aufgabe der menschlichen Erkennt 
niß, diese eine Aufgabe des menschlichen Willens; dort hat die 
speculative, hier die praktische Vernunft ihren Spielraum. Der 
Wille ist unabhängig von der Erkenntniß, wie das Sittengesetz 
unabhängig vom Naturgesetz. Doch kann in einer gewissen Rück 
sicht die Erkenntniß der Sinnenwelt selbst einen auf unsere mora 
lische Anlage günstigen Einfluß ausüben. Das Sittengesetz de 
müthigt die menschliche Selbstliebe, das sinnliche Selbstgefühl. 
Wenn es ein Naturgesetz giebt, dem gegenüber der Mensch als 
lebendiges Geschöpf sich unendlich klein erscheint, so wirkt diese Er 
kenntniß in einer dem Sittengesetz analogen Weise auf das mensch 
liche Selbstgefühl. Was uns als sinnliche Wesen demüthigt, 
das erhebt uns als geistige Wesen. So demüthigend und so er 
hebend wirkt auf die menschliche Natur die Sinnenwelt im 
*) Ebendas. IITheil. Methodenlehre. - Bd. IV. S. 273—287. 
Lisch er, Geschichte der Philosophie IV. 2. Lust. 12
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.