Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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luter Allgemeinheit gilt für alle vernünftigen Wesen. Jetzt soll 
der Inhalt dieses Gesetzes bestimmt werden, sein einzig möglicher 
Inhalt. Da dieser Inhalt aus keiner Erfahrung, also aus kei 
ner anderweitigen Bestimmung abgeleitet werden kann, so bleibt 
nichts übrig, als ihn aus seiner Form selbst zu erklären*). 
II. 
Das Sittengesetz als Princip des Willens. 
1. Das Gebot (Imperativ). 
Jedes Ding wirkt oder handelt nach einem bestimmten Ge 
setze ; die Erkenntniß oder Vorstellung eines Gesetzes nennen wir 
ein „Princip". Das Vermögen, Gesetze zu begreifen, also Prin 
cipien zu haben, ist die Vernunft. Wenn die Vernunft handelt, 
so ist sie praktische Vernunft oder Wille. Wir können darum 
den Willen erklären als das Vermögen, nach Principien (nach 
vorgestellten Gesetzen) zu handeln. Das Gesetz ist als solches der 
Ausdruck der Nothwendigkeit, der Wille ist als Selbstbestimmung 
oder als Vermögen, nach eigenen Triebfedern zu handeln, Aus 
druck der Freiheit. Ich kann mir einen Willen vorstellen, der 
gar keine andere Triebfeder hat, als das Gesetz, der deßhalb 
nichts anderes als das Gesetz will, in dem Nothwendigkeit und 
Freiheit vollkommen eines sind, in dem das Gesetz sich mit voller 
Freiheit ohne alle Trübung offenbart: ein solcher Wille ist durch 
aus gut, er ist absolut rein oder heilig. 
Setzen wir aber vernünftige Wesen, die zugleich sinnlich be 
stimmt sind, die also in der Natur ihres Willens neben dem Ge 
setze noch andere Triebfedern haben, so werden sich solche Wesen 
*) Grundleg. z. Metaph. der Sitten. II Abschn. Uebergang von 
der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaph. der Sitten — Bd. IV. 
S. 26—33.
	        
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