Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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nicht die Selbstliebe Grund so vieler böser Handlungen sein? Und 
ist ein guter Wille denkbar, der mit dem bösen Willen denselben 
Beweggrund gemein hat? Wenn ich mein Leben bloß aus Selbst 
liebe erhalte, so ist meine Handlung und meine Neigung, aber 
nicht eigentlich mein Wille pflichtmäßig. Ich kann mir den Fall 
vorstellen, daß unter einer Last von Unglück alle Lebenslust er 
lischt, die natürliche Selbstliebe vielmehr den Tod wünscht, als 
das Leben erhalten möchte, daß die Befreiung von der Lebens 
plage als ein Ziel erscheint, „auf's innigste zu wünschen". Jetzt 
gehen Pflicht und natürliche Neigung auseinander, jetzt wird der 
Wille auf die Probe gestellt, ob er wirklich pflichtmäßig ist oder 
nicht. Seiner natürlichen Neigung nach möchte er nichts lieber 
als das Leben los werden; wenn er es dennoch erhält, so kann 
in diesem Falle die Absicht seiner Handlung nur sein, daß er 
nicht pflichtwidrig handeln will. Er thut die Pflicht, nicht aus 
einer selbstsüchtigen Absicht, nicht aus einer natürlichen Neigung, 
sondern bloß aus Pflicht. Er thut die Pflicht nur um der Pflicht 
willen. Hier ist nicht bloß die Handlung, auch der Wille selbst 
wahrhaft pflichtmäßig. Ein solcher Wille ist an sich selbst gut, 
nur ein solcher Wille. 
Die Pflicht verlangt Wohlthätigkeit gegen andere. Wenn 
ich nicht wohlthätig bin, so handle ich pflichtwidrig; wenn ich 
wohlthätig bin, um gelobt zu werden, so handle ich pflichtmäßig, 
aber selbstsüchtig; wenn ich wohlthätig bin, weil ich mit dem 
Nothleidenden Mitleid empfinde, weil mich der Anblick rührt, 
weil ich mich durch meine Wohlthat von dieser schmerzlichen Re 
gung befreie, also meine Wohlthat mir Genuß verschafft, so handle 
ich pflichtmäßig aus natürlicher Neigung, die zuletzt immer auf 
Selbstliebe hinausläuft. Wahrhaft gut handle ich, wenn ich 
wohlthue bloß, weil die Pflicht es gebietet, weil ich die Pflicht 
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