Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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5. Pflicht und Neigung. 
Nur der Wille ist gut, und zwar nur der pflichtmästige 
Wille. Pflichtmäßig ist der Wille, wenn seine Handlung der 
Pflicht entspricht. Es sei z. B. die Pflicht der Ehrlichkeit, die 
dem Kaufmanne gebietet, den Käufer nicht zu übertheuern oder 
zu betrügen. Der Kaufmann betrüge nicht; seine Handlung sei 
pflichtmäßig, Dabei ist es sehr wohl möglich, daß er im Grunde 
zur Ehrlichkeit gar keine Neigung hat; er übt sie nur aus, weil 
er fürchtet, daß die Unehrlichkeit entdeckt werde und ihm Strafe, 
Schande, Verlust der Kunden u. s. f. eintrage. Der Gewinn 
ist seine Absicht, nicht die Ehrlichkeit. Seine Handlung ist pflicht 
mäßig, seine Absicht selbstsüchtig. Aber die Absicht gehört zum 
Willen. In diesem Falle ist daher nur die Handlung, nicht der 
Wille pflichtmäßig. Die Handlung entspricht der Pflicht; Nei 
gung und Gesinnung sind damit im Widerstreit. Ein solcher 
Wille ist nicht gut. 
Es kommt also in Rücksicht des guten Willens nicht bloß 
auf die Handlung, sondern auf deren Beweggrund, auf die sub- 
jective Triebfeder an, die den inneren Charakter der Handlung 
ausmacht. Der Wille ist offenbar nicht gut, wenn er zwar 
äußerlich die Pflicht erfüllt, innerlich aber nicht darin gegenwär 
tig, sondern pflichtwidrig und selbstsüchtig gesinnt ist. Setzen 
wir den Willen-in eine andere der Pflicht gemäßere Verfassung: 
nicht bloß seine Handlung, auch seine natürliche Neigung stimme 
mit der Pflicht überein; er befolge die Pflicht aus natürlicher 
Neigung. Es sei z. B. die Pflicht der Selbsterhaltung. In den 
meisten Fällen kommt die natürliche Neigung der Selbstliebe mit 
dieser Pflicht überein. Ist nun der Wille gut, wenn er die 
Pflicht der Selbsterhaltung aus bloßer Selbstliebe ausübt? Kann
	        
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