Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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*) Ebendaselbst. lAbschn.-Bd. IV. S. 10-14. 
irrende Vernunft. Man hat die Vernunft oft angeklagt, daß 
sie mit aller Bildung und Sittenverfeinerung, mit allen ihren 
Erfindungen, Künsten und Wissenschaften die Menschen nicht 
glücklicher gemacht habe. Vielmehr habe die fortschreitende Bil 
dung die menschlichen Bedürfnisse vermehrt und in demsel 
ben Grade die Zufriedenheit vermindert, ohne die es kein Glück 
giebt. In diesem Sinne hat auch Rousseau die berühmte Frage 
der Akademie von Dijon entschieden. Wenn nun die Vernunft 
das menschliche Glück nicht befördert, so müssen wir urtheilen, 
daß entweder die Vernunft ihren Zweck verfehle, oder daß dieser 
Zweck ein anderer sei als die Glückseligkeit, die ja durch den In 
stinkt besser als durch die Vernunft erreicht wird*). 
Es kann daher nicht in der Absicht eines vernünftigen Wil 
lens liegen, sich zum Mittel für die menschliche Glückseligkeit zu 
machen. Er kann nicht bloß das Werkzeug sein wollen, den 
äußeren Lebenszustand zu verbessern. Als Mittel oder Werkzeug 
ist der Wille gut für einen anderen ihm äußeren Zweck. Die 
Vernunft macht ihren Willen nicht zum Mittel, sondern zum 
Zweck: nur der Wille ist gut, und gut kann der vernünftige 
Wille nicht als Mittel, sondern nur als Zweck sein; nur der 
an sich selbst gute Wille erfüllt seinen Zweck. 
Nicht jeder Wille ist an sich selbst gut, nicht unter allen 
Umständen ist der Wille seiner wahren Bestimmung gemäß. Diese 
Bestimmung bindet ihn nicht, sie verpflichtet ihn nur. Worin 
die Pflicht besteht, wissen wir noch nicht. Sie bezeichne hier nur 
die Grenze, die den guten Willen von jedem beliebigen Willen 
unterscheidet. Gut ist nur der Wille, der seine Pflicht thut, 
niemals der entgegengesetzte. Mit dem Pflichtbegriffe ziehen wir 
die Grenze zwischen dem guten Willen und seinem Gegentheil.
	        
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