Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges. 2 (II. / 1930)

beschädigung »mit der standrecht¬ 
lich ausgeführten Todesstrafe be¬ 
legt« werde, die absichtliche Ope¬ 
rationsverweigerung ungestraft 
bleibe, ja sogar rechtlichen Schutz 
genieße. Tatsächlich vergaß man 
die Bestimmung, daß jemand nur 
mit seiner Zustimmung operiert 
oder ihm ein Glied amputiert 
werden dürfe, mit Rücksicht auf 
den Krieg aufzuheben; doch ist es 
durch Tatsachen bewiesen, daß 
man sich, namentlich bei gemei¬ 
nen Soldaten, nicht immer streng 
an die Vorschriften hielt. Immer¬ 
hin erwähnt Dr. Finsterer fol¬ 
gende zwei Fälle: 
Ein Soldat mit Narbe auf 
dem Schulterblatt, welche ein 
Tragen des Gewehres oder 
Tornisters unmöglich macht, 
verweigert deren operative Ent¬ 
fernung. 
Einem Offizier hat ein 
Schrapnellschuß die Quadrizepssehnen vor Monaten durchtrennt. Ein 
Gehen oder Heben des gestreckten Beines ist unmöglich, der Mann 
daher ohne Operation invalid. Trotzdem verweigert er die Zustimmung 
zur Operation. 
Die Sitte der Selbstbeschädigung blühte bei allen Armeen. Egon Erwin 
Kisch erzählt: 
Drei Selbstverstümmler wurden zum Divisionsgericht eskortiert, sie 
klapperten vor Frost und Schmerz, der eine hatte den linken Unterarm 
zerschmettert, der zweite zwei Finger durchschossen, der dritte die 
linke Schulter — alle drei bloß mit selbstangelegten, primitiven Ban¬ 
dagen, blutüberströmt. Sie können vor dem Feldgericht nichts in Abrede 
stellen, denn die Schüsse sind auf der linken (dem eigenen Gewehr 
erreichbaren) Körperhälfte, die Wundränder zeigen Merkmale der Ver¬ 
brennung von der Stichflamme und Pulverschleim — typischer Nah¬ 
schuß. In Serbien war es leichter — man brauchte nur absichtlich den 
Arm aus der Deckung zu strecken und hatte schon einen Schuß von 
drüben, »eine ehrenvolle Verwundung«. (Wenn man sich hier 
anschießen will, muß man zuerst ein mit Wein genäßtes Taschentuch 
Die Nerven im Kriege 
1. Vollkommen durchtrenntcr Nerv. 2. Scheinbar unvoll¬ 
kommen durchtrennter Nerv, der aber keinen Impuls mehr 
vermittelt. 3. und 4. Durch Geschoß zur Schwellung gebrachte 
funktionsunfähige Nerven. 5. und 6. Zerstörte Nerven 
(partielle Paralyse). 
Aus »The Graphic«, 1916 
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