Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges. 2 (II. / 1930)

die kurzanliegende Städterkleidung, sondern auch sein Gewissen. Es 
wurde ausschweifend und nachgiebig in Sündigen mit fremden Männern. 
Die Ingenieure ließen sich von ihren Ärzten kurieren. Die Bauernleute 
aber haben keine Zeit, sich damit zu befassen, so lange sie nicht bett¬ 
lägerig werden. Die Bauernwirtschaft erlaubte es ihnen nicht, sich vom 
Acker zu trennen und ins Krankenhaus zu fahren. Und so verfaulen 
die Bauern bis auf die Knochen. Wenn man sie zählen würde, so würde 
man sehen, daß ihrer viele krank sind. Auch kommen zuweilen ver¬ 
seuchte Soldaten aus der Stadt. Das Bauernvolk siecht vom Kriege und 
vom Bahnhau hin, außerdem auch noch von der Ausschweifung und 
der Unruhe10). 
Auch sonst liest man viel über die unheimliche Ausbreitung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten. Soweit sich dies auf das Heer bezieht, war davon 
bereits im Kapitel über Geschlechtskrankheiten die Rede. Die Verhält¬ 
nisse wurden durch die Revolution zunächst aus naheliegenden Gründen 
nur verschlimmert. 
Die Revolution mit ihren Begleiterscheinungen des Sinkens der Dis¬ 
ziplin hat das bereits vorher vorbereitete Übel in einem Maße verstärkt, 
von dem die weitere Öffentlich¬ 
keit keine Ahnung hat. Nach 
den Mitteilungen eines höheren 
Militärarztes beläuft sich die 
Zahl der neuen Erkrankun¬ 
gen in den letzten Monaten 
auf Zehntausend — schreibt 
»Rjetsch«11) nach der Keren¬ 
skirevolution. 
Der Umsturz, der Bürgerkrieg 
und das durch sie verursachte 
Chaos zeitigte auch in geschlecht¬ 
licher Hinsicht die seltsamsten 
Folgen. In den verschiedensten 
Teilen Rußlands lösten einander 
die Besetzungsarmeen der ver¬ 
schiedenen Nationen ab: das Er¬ 
gebnis konnte bei der unvorstell¬ 
baren Wirtschaftsnot kein ande¬ 
res als ein unerhörtes erotisches 
Tohuwabohu sein. In den gesam¬ 
ten Randgebieten waren solche 
Besetzungsarmeen teils noch vom 
Kriege her stationiert, teils in 
Der Friedensathlet 
Russische Karikatur 
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