Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges. 2 (II. / 1930)

Sterling nicht begeben konnte 
und wollte. Und dies gilt für 
alle Länder im gleichen Maße. 
Überall war die Kriegspropaganda 
eifrig bestrebt, die eigene Bevöl¬ 
kerung durch Vorspiegelung fal¬ 
scher Tatsachen hinters Licht zu 
führen. Und wenn in den kriti¬ 
schen Tagen Deutschlands im 
Reichstagsausschuß die berühmte 
Äußerung fiel: „Wir wurden be¬ 
logen und betrogen!44, oder wenn 
Lord Fisher zwei Jahre nach 
Kriegsende erklärte, England wä¬ 
re in den Krieg „hineingefoppt44 
worden („f ooled into war44), so läßt 
diese Selbstkritik auf beiden Sei¬ 
ten nichts zu wünschen übrig. Höchstens kann über die Frage gestritten wer¬ 
den, auf welcher Seite man die Waffe der Propaganda oder, um es schlank¬ 
weg herauszusagen, der Lüge besser zu handhaben verstand. Heute dürfte 
es kaum noch zu bezweifeln sein, daß Deutschland an dieser Front den 
Krieg von allem Anfang an verloren hatte und sich mit dem Crewe 
House, wo ein Lord Northcliffe alle Künste seiner hervorragenden Stra¬ 
tegie spielen ließ, nicht messen konnte. Die Kriegspropaganda muß sich, 
um erfolgreich zu sein, auf überlegene psychologische Kenntnisse 
stützen. Und das war es, was Deutschland, abgesehen von der auch in 
dieser Hinsicht verhängnisvollen Blockade, fehlte. Die deutschen Kriegs¬ 
lügen hatten zumeist kurze Beine, humpelten nicht über die Grenzen, 
während die Lügennachrichten der Ententepropaganda international 
verbreitet waren und noch heute vielfach unausrottbar sind. 
Die Kriegspropaganda zerfällt in zwei Kategorien. Beide bezwecken 
die Steigerung der Kriegslust im eigenen Lager durch Förderung des 
Hasses gegen den Feind. Während aber die erste Kategorie unmittelbar 
auf das Ziel lossteuert und den Feind hassenswert oder verächtlich zu 
machen sucht, enthält die zweite Klasse von Kriegsnachrichten be¬ 
stimmte Behauptungen, hauptsächlich über Kriegshandlungen, die dem 
Feind zugeschrieben werden, um auf diesem Wege versteckt das gleiche 
Ergebnis zu erzielen. Einerseits wurde ein Haß gezüchtet, ohne daß man 
dessen Motive (sei es, daß sie als bekannt vorausgesetzt oder als über¬ 
flüssig erachtet wurden) nannte, anderseits wurden erdichtete Tatsachen 
vorgebracht, die dem Hasse als zureichender Grund und ständige Nah¬ 
rung zu dienen hatten. Wir wollen beide Arten der Kriegspropaganda 
Die Presse im Kriege 
Holzschnitt von Franz Masereel 
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