Volltext: Walter von Molo (Heft 8 / 1927)

3°3 
// /y/7 ' a* / 
Das Neue Surf) 
ähnlich Selma Lagerlös, alltägliche Geschehnisse, an denen der Dutzendmensch achtlos 
vorübergeht, zu bedeutenden Ereignissen meisterhaft zu formen versteht, tritt uns Maria 
Schneider als tiefe Psychologin entgegen. Oie Aufgabe, die sie sich gestellt, war nicht 
leicht. Eö bestand die Gefahr, daß sie das Thema weibisch-gefühlsmäßig anfaßte oder, 
der Schwierigkeiten inne werdend, schematisch daö Leben des unglücklichen Dichters be 
handelte, farblos und nichtssagend. Weder daü eine noch das andere ist jedoch der Fall. 
Den Rätseln der später vom Wahnsinn umnachteteten Seele Hölderlins nachgehend, 
sie psychologisch erklärend, baut sie dem Verfasser des „Hyperion" ein Denkmal, das 
feinste Ziselier-Arbeit verrät. Vielleicht ist nur eine Frau dazu befähigt gewesen, denn 
eines Mannes Hand ist für derart feine Arbeit zu schwer. Den einzelnen Lebenslagen, 
in denen Hölderlin sich befand, angepaßt, findet sie hier Worte des Frohmutes und 
der Zuversicht, dort wieder Worte der tiefsten Hossnungölosigkeit. Nirgends ein Satz 
zu viel oder zu wenig. Von besonderer Wirkung ist die Schilderung vpn Hölderlins 
geistigem Verfalle, der von ihr nicht „blutenden Herzens" niedergeschrieben wurde, 
sondern auf ein bewußt kunstvolles Schassen hinweist, ohne Sensationö- oder Gefühls- 
hafcherei. Es würde hier zu weit führen, alle Einzelheiten des bearbeiteten Stosses an 
zuführen, ich möchte nur dieses Buch auch den Gegnern dichtender Frauen empfehlen, 
und ich bin überzeugt, daß diese Leute ihre Ansicht wenigstens bei Maria Schneider 
ändern müssen. Ich weiß nicht, wer Maria Schneider ist, ob sie schon mehrere Bücher 
herausgegeben, sicher aber ist, daß inan ihren Namen sich merken wird. L. V. 
DER GANG ZUR LIEBE. Ein Buch von Städten, Kirchen und Heiligen. Von 
Emmy Hennings. Ganzleinen Mk. 7.60. Josef Kösel & Friedrich Pustet K.-G., München. 
— Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, daß wir von vornherein etwas miß 
trauisch sein werden gegen ein in unserer Zeit entstandenes Buch, von dem wir wissen, 
daß es religiöse Stimmungen enthält. Haben wir dann trotzdem ein solches Buch ge 
lesen, so werden wir sicher zugeben können, daß die Ehrlichkeit, mit der es erlebt und 
geschrieben ist, nicht angezweifelt werden kann, aber wie weit ist eö fast immer von 
der Fülle und Süße, von der hellseherischen Sicherheit deü Ausdrucks entfernt, die 
unsere Seele bis in ihre letzten Tiefen erregt und gleichzeitig besänftigt! Nun aber 
schenkt uns Emmy Hennings eine solche seltene Kostbarkeit, in der sich Inbrunst, 
Kultur, Naivität und Kindlichkeit mischen. Oie Dichterin, deren Geburtsland der meer- 
umspülte deutsche Norden ist, macht eine Reise, eine durchaus alltägliche Reise über 
Mailand, Florenz, Genua nach Rom — aber eö ist auch eine innerliche Reise nach 
dem geistigen Rom, und so vermischt sich mit einem gewissen Reiz äußeres Bild und 
inneres Erleben. Es geht hier nicht um Kunstwerke oder Landschaften oder Menschen, 
trotzdem alles das erlebt wird, sondern um das Hintasten an diesen Dingen zur ewigen 
Stadt. Einzig aber wird dieses Buch durch die Oisserenziertheit seiner Empfindungen 
und dichterischen Formen, die innig verschlungen sind in eine für unsere Zeit kaum 
faßliche Kindlichkeit einer durch schwerste Schicksale gegangenen Frauenseele. S. 
IM BANNE DER TAIGA. Von Lar She. Geh. Mk. 4.—. Gebrüder Stiepel, 
Neichenberg. — Abenteuerliche Erlebnisse zweier Offiziere in den Urwäldern Sibiriens, 
den Steppen Mandfchurienö und den Schluchten des Chingan. Dabei ist der Verfasser 
bestrebt, uns die' dortige Natur- und Tierwelt möglichst lebendig vorzuführen. Eö ist 
ein Buch, das nicht nur der Unterhaltung dienen, sondern auch das Wissen des Lesers 
erweitern will. H. O. 
AB 8 C HI ED VOM PARADIES. Ein Roman unter Kindern von Frank Thieß. 
Leinen Mk. 4.Z0. I. JngelhornS Nchf., Stuttgart. — Zu der Romantrilogie „Das 
Tor zur Welt", „Oer Leibhaftige" (beide Bücher bereits erschienen und von uns be 
sprochen) und „Die Feuersäule" (erscheint 1928) bildet der „Abschied vom Paradies" 
das Vorspiel. Thieß schildert hier das Leben der Kinder, die an Alter noch zu den 
Jüngsten gehören, in sich aber schon die beginnende Reise fühlen. Es sind moderne 
Kinder, denen die Frage „Bubikopf" bereits Sorgen macht, die aber doch noch unbe 
rührt sind von dem Trüben des Lebens. Oie ganze interessant gestaltete Handlung 
spielt in einer Sommerfrische, und man merkt, daß Thieß allen Einzelheiten in dem 
kindlichen Treiben nachgeht, um die Psyche der jungen Generation zu ersassen. Eö 
handelt sich um keine großen Probleme, die der Dichter ausrollt, in dem Sinne der
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.