Lesebuch — neben einem Liederbuch für Turner das einzige
in abendländischer Schrift abgefaßte Buch der Pfarrbibliothek.
Unter den Büchern des Popen finden sich außer einer Unzahl
von Jahrgängen des serbischen Gatalogus Gleri und der Priester¬
zeitschrift „Ghristianskoj Wiestnik“, einige serbische Helden¬
epen, Übersetzungen von Puschkin und Verne, Doyle und Cer¬
vantes, die Statuten der serbischen Fortschrittspartei und die
der radikalen, sowie panslawistische Zeitschriften. In einer von
ihnen finde ich eine vor zehn Jahren erschienene Schrift meines
Berliner Freundes, Dr. Georges Weill, Abgeordneten von Metz im
Deutschen Reichstag, zitiert. In deutschen Zeitungen habe ich
gelesen, daß Dr. Weill bei der Ermordung Jaures’ anwesend war
und in die französische Armee eingetreten ist.
In der heute eingetroffenen Zeitung vom 26. November ist
über die Erfolge unserer Division bei Lazarovaö eine offizielle
Meldung enthalten, und zum erstenmal werden darin Trujipen-
körper namentlich hervorgehoben: das 11., das 73. und das
102. Regiment.
Die Dunkelheit des Abends versammelt uns in der Pfarre,
und man erzählt vom Verschwinden des der Offiziersmesse
zugeteilten Korporals Nechanicky. Vor 14 Tagen ist er mit
1000 Kronen Fassungsgeld und ebensoviel anvertrauten Geldern
von Soldaten, welche ihm den Kauf von Tabak, Zigaretten und
Schnaps aufgetragen hatten, nach Schabatz gefahren und seit¬
her nicht mehr gesehen worden. Schon seit einigen Tagen war
in unserem Kreis die Möglichkeit seiner Desertion erwogen
worden. Diese Fälle häufen sich in letzter Zeit. Wenn es sich
um private Aufträge handelte, hatte sich der Defraudant einfach
bei seinem Auftraggeber nicht mehr blicken lassen. Wenn ärari¬
sches Geld im Spiele war, hatten sich die Burschen wiederholt in
Bjelina mit Champagner bezecht, dann das ganze Bordell frei-
gehalten, einer Auserkorenen im Tete-ä-Tete ein paar Banknoten
geschenkt, und zwei haben sich im Morgengrauen auf der Straße
mit dem Karabiner erschossen. Die Burschen hatten seit Wochen
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