Volltext: Schreib das auf, Kisch!

Die Größe der Verluste, welche die Vorrückung der letzten 
drei Tage gekostet hat, ist uns heute nicht mehr bloß numerisch 
bekannt, sondern auch namentlich, ich finde in der Verlustliste 
die Namen von Freunden. Am meisten betrauere ich den Tod 
des Kadetten Stribrny, eines der intelligentesten Burschen, die 
ich hier kennengelernt. Es ist drei Tage her, da hatte er ge¬ 
äußert, sein Tod wäre objektiv gräßlicher als der Tod der 
anderen, weil er seinen Beruf noch nicht auszuüben begonnen, 
weil er das Gelernte noch nicht verwertet habe, weil er das 
Leben noch nicht kenne, und vor allem, weil er die Erfüllung 
der Liebe erst erwarte. — Leutnant Podrabsky und Einj. Ada- 
mus sind Kameraden gewesen, mit denen ich auf der Parasch- 
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nitza täglich gesprochen hatte. Und auch sonst waren mir viele 
lieb. Sie liegen nun an der Kirchenmauer von Lipolist begraben. 
Dienstag, den 10. November 1914. 
Die Tage bringen uns Übles. Es ist nicht auszudenken, daß 
man Menschen, mit denen man tags vorher gesprochen, junge 
Menschen, mit denen man seit Monaten ununterbrochen bei¬ 
sammen war, und die gesund waren, ohne sichtbaren Übergang 
plötzlich nicht mehr sehen soll, weil sie im Grabe liegen und 
nicht mehr sind. Man flucht diesen schrecklichen Tagen. Die 
Nächte beginnen schon um 5 Uhr, wenn die ängstliche Abend¬ 
schießerei losgeht, und jeder Schritt aus der Deckung die Ge¬ 
fahr bringt, getroffen zu werden. Da legt man sich denn nieder, 
will einschlafen und kann es nicht. Die Toten des Tages fallen 
einem ein. Was tagsüber das Gefühl einer Sekunde war, weg¬ 
gewischt von einem neuen Schrecken, der wieder von einem 
andern abgelöst wurde, dringt jetzt in die Gedanken, man ver¬ 
gegenwärtigt sich das Ungeheuerliche dieser Massenschicksale, 
den Schmerz daheim, die Not der Hinterbliebenen und die eigene 
Zukunft. Dabei verschwindet der physische Schmerz nicht, die 
Glieder tun weh vom Liegen auf einer Seite. Der Regen schlägt 
lärmend auf das Kukuruzdach. 
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