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er Zeit hat, und wieder geht, daß die Lichter brennen und
Heiligenbilder stehen, kann ich ganz wohl leiden. Es ist etwas
Vertrauliches in dieser Verehrung. Ich gehe zuweilen, wenn
ich müde gearbeitet, selber dahin; abends um sechs etwa. Die
Kirche ist voll Menschen und sparsam erleuchtet; viele sitzen,
biele stehen dem Hochaltar gegenüber. Man singt ein deutsches
Lied, von dem ich nicht weiß, was es sagen will. Niemand hat
ein Buch, die Weise ist nicht grad schön. Ich lehne mich an eine
Säule in der Ecke, höre so zu: wo wäre ein andrer Ort so
geeignet, an nichts zu denken und alles; einer für den, der nicht
weiß, wie ihm in der Welt geschieht, der Gott sucht und nicht
tennt, der eine Wissenschaft wünscht, die er nie erlangen wird —
sich selbst zu beweinen? Eine Wissenschaft sage ich, und eine
Tugend, die er nie erlangen kann — welche Geschöpfe sind
vir doch! —
Komm, laß uns das wieder vergessen: wir gehen aus der
Kirche, in meine Stube, wo Du nicht eben viel Bücher, aber
eine Menge Papiere, augenscheinlich Exzerpte, liegen siehst und
billig fragst, was ich treibe. Ach sag mir doch, wie hat Dir mein
letztes Buch gefallen »Was sagt Dir Schubert? Zu dieses
Buches zweiten Teil, der von Idalien handelt, gehören die
Exzerpte. Alle Morgen um neun gehe ich nach der Bibliothek.
Dies ist eine außerordentlich reiche Sammlung, auch an
Manuskripten, wie ich sie suche, sehr reich. Irgendein böser
Erbe eines alten venezianischen Dogen, M. Foscarini, hat
dessen Sammlungen und Schriften, ohne selbst seines Brief—
wechsels zu schonen, hierher verkauft. Du kannst denken, daß
ich. mit dieser Untat ganz zufrieden bin. Eben hier und in
hier, fünf andern Abteilungen der hiesigen Handschriften⸗
sammlung sind eine Menge Relationen und authentische
Schriften, die ich mit dem größten Vergnügen studiere. Aber
Du mußt nicht denken, daß ich mich damit begnüge. Nein, ich
bin noch mehr begünstigt. Soviel es auch Schwierigkeiten
gemacht hat, ob man gleich einen förmlichen Abschlag vorauf⸗
Jesandt hat, so ist mir doch durch die unmittelbare Teilnahme
des Fürsten Metternich und des Hofrates Gentz das Archiv
eröffnet worden, d. h. ein Teil eben jenes venezianischen
Archivs, von dem ich in der Vorrede zu meinem ersten Teil
gehandelt habe. Es ist zwar nur ein kleiner Teil, und ich sehe
besonders für die eigensten Verhältnisse dieses Staates nichts
als Lücken; auch ist mir nur der Zugang, zu einigen Teilen