Die digitale Landesbibliothek Oberösterreich

Lage aufgeklärt und sie gebeten, den inneren Hader zu begraben, alle Rraft in 
den Dienst der kommenden schweren Stunden zu stellen und dafür zu sorgen, daß 
die Armee ihre bittere Aufgabe bis zum Ende durchführen könne. 
In dumpfer Erschütterung hören die Abgeordneten die Ausführungen des 
Vizekanzlers an. Die schreckliche Lage des Heeres, die ihnen zum erstenmal 
rückhaltlos zur Renntnis gebracht wird, zeigt ihnen den Abgrund, an dessen 
Rand das deutsche Volk angelangt ist. Heftige Vorwürfe werden gegen die 
Oberste Heeresleitung erhoben, weil sie so lange gezögert habe, das Parlament 
zu unterrichten. Mit einem Schlage wird es klar, daß es sich jetzt nur noch um 
die Liquidation des verlorenen Rrieges handelt. 
Am 20. September veröffentlicht die mehrheitssozialdemokratische Partei 
ihre politischen Forderungen. Sie verlangt Aufhebung des Belagerungszustan- 
des und freie Meinungsäußerung in presse und Öffentlichkeit, Verfassungs- 
reform, Umbildung der Regierung unter Einbeziehung der Sozialdemokraten. 
Die nächsten Tage sind mit der Diskussion der Forderungen der Linken an- 
gefüllt. Die bisherige Reichstagsmehrheit ist von dem Bestreben erfüllt, die 
Sozialdemokratie in die Regierung einzubeziehen, um die Bildung eines revo- 
lutionären Blocks aus Mehrheitssozalisten und Unabhängigen zu verhindern. 
Nur im Bündnis mit der Sozialdemokratie glaubt man das schlimmste noch 
abwenden zu können. 
Von der Tribüne des Reichstags fallen harte und leidenschaftliche TDorte 
gegen die Oberste Heeresleitung, der man die Schuld an dem plötzlichen Um- 
schwung der Stimmung im Innern zuschreibt. 'Mas ursprünglich nur wenige 
gewußt haben, wird bald allgemein bekannt. Jedermann weiß, daß die Oberste 
Heeresleitung den Frieden verlangt. Die XDelle einer tiefen Erschütterung geht 
durch das ganze Volk. 
Dem greisen Ranzler Grafen Hertling, der als angesehener Parlamentarier 
auf die kurze Ranzlerschaft von Michaelis gefolgt, geht es ähnlich wie seinerzeit 
Bethmann Hollweg. Man gibt ihm zu verstehen, daß man ihn nicht als geeig- 
neten Führer der neuen nach links erweiterten Koalition betrachte. Auch von 
dem Staatssekretär des Auswärtigen wollen die Parteien nichts wissen. Die 
Frage der Nachfolgeschaft ist noch ganz ungeklärt. 
it 
So wird es Gnde September. 
Auf die blutende "Westfront, feit drei "Wochen in verzweifelter Anstrengung 
die Siegfriedstellung haltend, bricht Fochs Generaloffensive vom Meer bis zur 
Maas los. 
Ks scheint, als ob über dies geplagte Heer nun endlich das Ende kommen 
solle. Drei Armeen, eine belgische und eine englische und eine französische, 
rennen gegen die flandrische Front. Vier alliierte Armeen treten gegen die Sieg- 
friedstellung zwischen Arras und La Fsre an, die Ausgangslinie der Großen 
Schlacht im März. Gegen die Laffaux-Ecke und den Chemin des Dames brandet 
der Ansturm einer französisch-amerikanischen Armeegruppe. Zwei französische 
und eine amerikanische Armee beginnen den Stoß zwischen Reims und den 
Argonnen. 
31 BeumeIburg, Sperrfeuer, Jll. Ausg.