Volltext: Sperrfeuer um Deutschland

Vielleicht wird die Geschichte niemals feststellen, durch wen die Czerninsche 
Denkschrift in Feindeshand geraten ist. Die Beteiligten werden ihr Geheimnis 
mit ins Grab nehmen. Sicher ist nur, daß sie an Deutsche gelangte, die an 
Deutschlands Niederlage interessiert waren. Von ihnen bis zum Feind ist kein 
weiter tDeg mehr. 
Unaufhaltsam geht es weiter. 
Der Reichstag ist mit der Regierung unzufrieden. Eine Menge innerpoli- 
tischen Zündstoffes hat sich angesammelt. Der Streit um den Unterseebootkrieg, 
um die Rriegsziele, um die russische und die polnische Frage, um Militärzensur, 
soziale Fragen, Steuern und parlamentarische Probleme schweigt jetzt keinen 
Tag mehr. 
Im April hat der Raiser seine Osterbotschaft erlassen. Er verspricht der 
Bevölkerung Preußens das unmittelbare und geheime Wahlrecht, wie es für 
den Reichstag gilt. Das Gesetz soll so vorbereitet werden, daß es bei Ariegs- 
ende in Rraft tritt. 
Die preußischen Parteien sind damit unzufrieden. Sie wollen Handlungen 
sehen, keine Versprechungen. Sie haben die Rrone im Verdacht, daß sie heute 
verspricht, um morgen wieder zu vergessen. Es heißt, die Oberste Heeresleitung 
habe sich auf die Seite der Reaktion gestellt, sie wende sich gegen jede inner- 
politische Ronzession als ein Zeichen der Schwäche nach außen. Neue Erregung, 
neue Verdächtigungen. Hindenburg und Ludendorff werden in den inneren 
Streit hineingezogen. 
Die Zerwürfnisse zwischen der Obersten Heeresleitung und der Reichsregie- 
rung werden immer tiefer. Die Oberste Heeresleitung schreibt der Regierung 
den größten Teil der Schuld an den bedauerlichen innerpolitischen Zuständen 
zu. Der Raiser bemüht sich, zu vermitteln, überall Risse, die notdürftig ver- 
kleistert werden und sofort wieder aufbrechen. 
Hindenburg und Bethmann treffen sich zu einer 2tussprache. Sie verläuft 
förmlich, ohne jede innere Annäherung. Ludendorff und Bethmann gehen sich 
seit langem aus dem Wege. Es gibt keine Versöhnung zwischen den beiden 
Charakteren, die einander so entgegengesetzt sind wie feindliche Elemente und- 
dennoch dazu berufen sind, in engster Fühlung miteinander an den beiden wich- 
tigsten Stellen zu arbeiten. 
Schließlich schreibt Hindenburg an den Raiser: „Die schwerste Sorge ist 
augenblicklich das Sinken der Stimmung im Volke. Auch unsere Bundes- 
genossen bedürfen einer Rückenstärkung, sonst ist Gefahr vorhanden, daß sie ab- 
fallen. Es entsteht die Frage, ob der Ranzler zur Lösung dieser Fragen — und' 
sie müssen richtig gelöst werden, sonst sind wir verloren — imstande ist." 
Das kam der Forderung nach dem Rücktritt des Ranzlers gleich. 
☆ 
Am 6. Juli 19)7 — seit gestern ist der Reichstag wieder zusammengetreten, 
eine schwüle Spannung liegt über ihm, in den Wandelgängen geht es zu wie 
in einem Bienenhaus — hält der Abgeordnete Mathias Erzberger eine große 
Rede, deren Inhalt nicht nur die Regierung, sondern auch den größten Teil 
seiner eigenen Parteifreunde völlig überrascht. 
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