Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

176 Die Entwicklung der Schlachtlinie im Westen bis zum Kanal 
niemand spreche Deutsch hier. Aber die Offiziere lachten mich aus, als wir ihnen dies 
sagten. „Jedermann in Ostende spricht Deutsch," riefen sie, und sie hatten wirklich 
recht. In dieser Stadt, wo man seit Wochen kein deutsches Wort gehört hatte, zeigten 
Hotelbesitzer, Kellner und Portiers plötzlich eine solche Fähigkeit für das Deutsche, daß 
man beinahe geglaubt hätte, es wäre ihre Muttersprache." 
Max Hochdorf erzählt im „Berliner Tageblatt": „Alles Volk von Ostende, das ein 
heimische und noch mehr das unzählige fremde Volk der Flüchtlinge, zitterte, als die 
Vorhut der deutschen Radfahrer auf dem Marktplatz hielt und absprang. Die deutschen 
Soldaten bemerkten kaum diese Furcht, denn sie wußten nicht, daß man sie wochenlang 
als Tiger und Menschenfresser verschrieen hatte. Die Deutschen wollten nur eines sehen: 
„Das Meer? das Meer? Wo ist die Nordsee?" Alle Soldaten sind dann schleunigst 
Zum Strand marschiert, und sie haben sich vor die Flut gestellt, die an jenem Tage 
gerade sehr still war, und diejenigen, die vielleicht zum erstenmal die Nordsee gesehen, 
haben über das Bteer bis zum Horizont hinuntergestarrt. Hinter dem Horizont liegt 
aber England. Diese Frage nach dem Meer ist den Belgiern als die stärkste, als die 
am meisten auffallende Erinnerung zurückgeblieben. 
Vorher war an der ganzen belgischen Küste westlich bis Dünkirchen eine Panik über 
die Menschen gekommen, die ganz vernünftige Männer und sonst sehr vorsichtige Frauen 
zu ^)en wildesten Abenteuern verleitete. Es ist Tatsache, daß manche Menschen ihr Leben 
schwachen Fischerbooten anvertraut haben, um so die englische Küste zu erreichen. Es ist 
zu befürchten, daß manche dieser Boote nie an ihr Ziel gekommen sind. Es ist traurige 
Gewißheit, daß die Flüchtlinge jegliches Urteil eingebüßt hatten. Sie glaubten, Glas 
schränke und Sofas so nach England verschiffen zu können, und wagten es gegen alle 
vernünftige Berechnung. Für einen Platz auf solcher Barke wurden in Blankenberghe 
hundert Francs geboten, und zwar von Menschen, die nicht einen Centime mehr als diese 
hundert Francs besaßen. Die französischen, belgischen und englischen Zeitungen, die 
man wochenlang in Ostende gelesen hat, können wohl die Köpfe entsetzlich verwirrt 
haben. Aber eine so ungeheure Panik ist vollkommen nur als eine geistige Epidemie 
zu erklären, die plötzlich Tausende von Gemütern befällt." 
Welchen Eindruck die Besetzung Ostendes durch die Deutschen in England machte, 
zeigt ein Artikel der „Times", in dem es heißt: „Der Kampf um den Besitz der Küste 
nimmt jetzt hauptsächlich das öffentliche Interesse bei uns in Anspruch. Die deutsche 
Besetzung Ostendes erregt hier mehr Aussehen als selbst der Fall Antwerpens, und zwar 
aus mehreren Gründen. Vielen Engländern, die sonst keine andere Stadt auf dem Fest 
land kennen, ist Ostende wohlbekannt. Es ist einer der bedeutendsten Post- und Personen 
verkehrshäfen von und nach England. Die Besetzung durch die Deutschen hat auf die 
Phantasie vieler Eindruck gemacht, die die Möglichkeit einer Besetzung von Paris mit 
Ruhe betrachtet hätten. Wenn wir nach der Ursache der Besorgnis suchen, die in manchen 
Kreisen während einiger Tage der letzten Woche bestand, so finden wir sie nicht in dem Gerede 
über Spione oder Zeppeline oder die Möglichkeit einer Invasion, sondern in der ein 
fachen Tatsache, daß deutsche Truppen an der Küste der Nordsee aufgetaucht sind." 
Ostende 
Zwei Tagebuchblätter von Luigi Barzini, deutsch von Henriette Zeis 
13 Oktober. 
Alle Dampfer, alle Segler, alle Barken, die sich in Ostende befanden, sind in den 
ersten Morgenstunden abgefahren. Gestern noch ein buntes Gewimmel in allen Binnen 
häfen, heute eine Leere und Stille, die die unheimliche Empfindung von Tod und Ver 
ödung weckt. Die Schiffsmasten Ostendes waren für bestimmte Straßen ein Schmuck,
	        
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