Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

224 Die Kämpfe an der Westfront bis Mitte Januar 1915 
ausglühen müssen. In Soissons hat Professor Clemen aus der Entfernung von nur 
2400 Meter aus günstigster Position von oben herab während des Granatfeuers die 
Denkmäler der Stadt genau beobachten können. Die Kathedrale stand am 7. Dezember 
noch wenig verletzt da. Sie hatte im ganzen nur vier Haupttreffer aufzuweisen. An 
dem zweiten Strebepfeiler an der Nordseite des Chores war ein Stück unterhalb der 
Fiale herausgeschlagen. Am Langhaus westlich vom Querschiff ist eine Granate durch 
das Dach und scheinbar durch das Gewölbe eingedrungen und hat den Zwickel zwischen 
zwei der Fenster des Obergadens zerrissen. Der unvollendete Nordturm war in seinem 
späteren Aufsatz durch ein Geschoß getroffen, das aber die Architektur des eigentlichen Baues 
nicht weiter berührte, und der eine vollendete Südturm ist durch eine Granate in der Höhe des 
Obergeschosses getroffen. Von der Front von St. Jean-des-Vignes, die allein noch von der 
alten Abtei übrig geblieben ist, zeigen die Türme noch Spuren der Beschießung von 1870. 
In beiden Fällen ist jedoch die Beschießung noch nicht beendet; und wenn die Fran 
zosen fortfahren, die Bauwerke dieser Städte, wie fast allnächtlich den Turm der 
Kathedrale von Soissons für Lichtsignale, zu benutzen, so wird die deutsche Artillerie 
leider keine andere Möglichkeit haben, als diese, das Leben der deutschen Truppen 
dauernd gefährdenden Positionen zu zerstören. 
Am schlimmsten sieht es an der Nordsront aus, in Arras und in Ipern. Hier 
wie in Armentiöres mußten die Beffrois fallen, da diese hohen Beobachtungsstellen dem 
Feind die bequeme Möglichkeit der Feststellung der Wirkung seiner und der feindlichen 
Artillerie gaben und für die deutschen Truppen gefährlich und todbringend waren. Wenn 
auch in Arras der große Platz mit seinen durchgehenden Arkaden äußerlich unverletzt 
scheint, so hat das Rathaus schwer gelitten, die eine Hälfte ist völlig zerstört. Und in Ipern 
ist nach französischen Aufnahmen vom 5. Dezember 1914 über dem Riesenbau der gotischen 
Tuchhallen, die der Gras Balduin IX. von Flandern im Jahre 1200 begonnen hatte, das 
hohe steile Dach mit dem so charakteristischen alten Dachstuhl abgebrannt. Der Beffroi hat 
in seiner Front eine tief heruntergehende Bresche und die Außenfront der Hallen selbst ist 
an drei Stellen völlig durchgeschlagen. Das im rechten Winkel an die Hallen anstoßende 
Renaissancerathaus ist völlig zerstört und bis aus das Erdgeschoß zusammengebrochen. 
Der spätgotische Turm der Kathedrale St. Martin hat gleichfalls sein Dach verloren. 
Von dem Museum, das in der alten zweigiebligen Boucherie untergebracht war, steht 
nur noch die Außenfront mit leeren Fensterhöhlen. Dixmuiden, das von unseren 
Truppen besetzt, aber von den Verbündeten dauernd unter Feuer gehalten wird, ist eine 
große Ruinenstadt (vgl. S. 93). 
Es ist aber festzuhalten, daß bei diesen beklagenswerten Zerstörungen überall eine 
unbedingte Notwendigkeit vorlag, daß die Deutschen durch die Aufstellungen des Feindes, 
durch die Ausnutzung dieser Denkmäler, zumal der Türme für die Feuerleitung, direkt ge 
zwungen waren, die Bauten unter Feuer zu nehmen, — und sowohl an unserer flan 
drischen Front in den Orten bei und vor Dixmuiden wie an der Aisnelinie und an der 
lothringischen Front sind es umgekehrt jetzt die Franzosen und Engländer, die ihre eigenen 
Denkmäler oder die der Verbündeten zerschießen. Jn Bourgogne nördlich von Reims 
ist die frühgolische Kirche durch ein schweres Geschoß der Franzosen getroffen worden, 
ebenso hat die ehrwürdige Kirche von Brimont von der Südseite her durch französische 
Geschosse schwer gelitten. An der Cote Lorraine beschossen die Franzosen das hochgelegene 
Bergdorf HattonchLtel, in dem die Kirche mit ihrem feinen kleinen Kreuzgang 
zuerst unter dem deutschen Bombardement gelitten hatte. Und in St. Mihiel haben 
wiederum die Franzosen die Kirche St. Etienne beschossen und darin eines der berühmtesten 
Denkmäler der französischen Renaissanceplastik, die unvergleichliche Grablegung Ligier 
Richiers, schwer beschädigt.
	        
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