Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

156 Die Entwicklung der Schlachtlinie im Westen bis zum Kanal 
Der Gegner wird geworfen und hinter den nächsten Nethearm zurückgejagt. Noch zwei 
mal wiederholt sich dieser wütende Kampf. Als aber die ersten Lichter des dämmernden 
Morgens am Horizont erscheinen, da ist das Schicksal Antwerpens entschieden." 
Das Städtchen Lierre ist vollständig zerstört worden. Ein Besucher erzählt: „Der 
Ort ist so vollständig zerschossen, wie wohl keine andere Stätte in diesem Kriege. In 
lähmender, wüster Unordnung liegt die ganze Stadt. Ein großer Steinhaufen, zu 
sammengemäht von Granaten. Die Dächer der Häuser sind auf den Boden gefallen 
die Steine des Fundaments sind aufgewühlt und hochgespritzt; ganze Häuserreihen sind 
zusammengesunken. Türme sind zur Erde gestürzt, im Fall noch kleine Gebäude mitreißend 
und unter sich begrabend. Schornsteine ragen aus Kellerlöchern und steinerne Treppen des 
Erdgeschosses hängen, wie von Urkraft geschleudert, auf hohen, verkohlten Mauerresten." 
Auch gegen das Zentrum des Netheabschnitts wurde vorgestoßen, wo eine 
englische Brigade in stark verschanzter Stellung stand. Die schweren Batterien wurden 
bis vor den Nordausgang von Mecheln vorgezogen. Ein Teil von ihnen feuerte gegen 
die sehr geschickt im Gelände aufgestellten Zwischenbatterien, während die Hauptmasse 
die feindliche Jnfanteriestellung bearbeitete. Die belgische Artillerie tat in hervorragen 
der Weise ihre Pflicht. Nur von Zeit zu Zeit sich gegen die deutsche Artillerie wendend, 
suchte sie vor allem den deutschen Jnfanterieangriff aufzuhalten. Unablässig bestreute 
sie mit Schrapnells das ganze Vorgelände, vor allem die Anmarschstraßen. Unsere 
Truppen waren ja infolge der umfangreichen Ueberschwemmung des ganzen Gebiets großen 
teils an diese vom Feind unter Feuer gehaltenen Straßen gebunden. Allerdings gelang 
es an einigen Stellen, selbst dieses stärksten Hindernisses Herr zu werden: einige wohl 
gezielte Granaten zerstörten ein paar Schleusen, die zur Wassersperrung dienten, und das 
Wasser begann an verschiedenen Stellen abzulaufen. 
Die Treffsicherheit der belgischen Artillerie erklärt sich vor allem aus ihrem vorzüglich 
organisierten Beobachtungssystem. Einzelne belgische Soldaten lagen versteckt in 
den Feldern; sobald größere Massen deutscher Truppen bestimmte Stellen erreicht hatten, 
entzündeten diese Belgier bereitliegende Pulverhaufen, und der aufsteigende Rauch gab 
dann jedesmal der gegnerischen Artillerie das Zeichen zur Eröffnung eines wohlgezielten 
Feuers. Auch die feindliche Infanterie brachte den Deutschen in dem von ihr wohl 
vorbereiteten Gelände empfindliche Verluste bei. Ihre Beobachter saßen in den Bäumen 
und gaben ihren Kompagnien Zeichen; da dem Gegner die Entfernungen in dem zu 
durchschreitenden Gelände genau bekannt waren, blieb sein sonst ziemlich schlechtes Gewehr 
feuer nicht ohne Wirkung. Wiederholt haben unsere Truppen auch dadurch Verluste 
gehabt, daß die gut versteckt liegende belgische Infanterie die Patrouillen und Spitzen 
unbehelligt durchließ, bis der Haupttrupp sich in ihrem Feuerbereich befand und dann 
plötzlich von dem auf allen Seiten auftauchenden Gegner beschossen wurde. Ties wurde 
dadurch möglich, daß das überschwemmte Gelände keine wirksame Sicherung unserer vor 
gehenden Infanterie auf den Seiten zuließ. 
Der Nachrichtendienst, der hier in seinen militärischen Formen in die Erscheinung 
trat, war überhaupt die starke Seite der belgischen Landesverteidigung. Der Korre 
spondent des „Schwäbischen Merkur", W. Scheuermann, schreibt in einem seiner Kriegs 
berichte: „Zwischen dem eingeschlossenen Antwerpen und Brüssel bestand, obgleich das 
ganze Zwischengelände besetzt war und Tag und Nacht darin gekämpft wurde, der regste 
Nachrichtenaustausch. Ich selbst war erstaunt, festzustellen, wie schnell einzelne belgische 
Familien Mitteilungen von ihren zu der belagerten Garnison gehörenden Söhnen er 
halten konnten. Die Belgier waren im Stande, die amtlichen Listen der in Antwerpen 
liegenden Verwundeten in einem Vorort von Brüssel drucken zu lassen. Außerdem wurden 
nachts von der belagerten Festung aus Lichtsignale abgegeben, die vielleicht nicht erwidert.
	        
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