Die Kämpfe i«t Zentrum der Schlachtsront 137
Tatsache ist, daß die Franzosen auch heute noch ihre Artillerie unter dem Schutze der
Kathedrale gegen unsere Truppen wirken lassen. Die französischen Kanonen sind in der
Stadt in unmittelbarer Nähe der Kathedrale selbst aufgestellt. Und zwar hat man die
Geschütze nicht nur auf der Place Belle Tour postiert, sondern sie auch auf dem Boule
vard de la Paix aufgestellt. Da die Stadt nach Osten zu abfällt, hat man somit ein gutes
Schußfeld auf die deutschen Stellungen.
Immer noch besteht die Absicht bei den deutschen Truppen, die Stadt und mit ihr die
Kathedrale nach Möglichkeit zu schonen. Zwar sah man sich vor längerer Zeit gezwun
gen, einen Beobachtungsposten, der auf dem Turm der Kathedrale untergebracht war,
herunterzuholen. Diese Maßnahme hat keineswegs die beabsichtigte Wirkung gehabt.
Man kann von den deutschen Stellungen aus deutlich mit dem Scherenfernrohr erkennen,
daß auch heute noch die Kathedrale in gleicher Weise von den französischen Truppen
gebraucht wird. Man sieht auch deutlich die Stellung der französischen Geschütze. Am
Tag, wenn das Wetter besonders klar ist, kann man in den oben genannten Straßen
die Geschütze sehen. Man kann auch sehen, wenn aus ihnen geschossen wird, wobei der
weiße Pulverdampf für Augenblicke den Standort einhüllt. Nachts aber sieht man ganz
deutlich an den aufblitzenden Schüsien, daß die Stellung der Geschütze nicht verändert
worden ist. Es ist das ein Frevel, wenn man bedenkt, daß der Ruin eines so wertvollen
Bauwerks unter allen Umständen vermieden werden müßte...
Es konnte ferner nicht verhütet werden, daß man auch die nördliche Vorstadt Ceres
und den berühmten Park Pommery verschiedentlich beschießen mußte, um wirkungsvolle
französische Stellungen dort zum Schweigen zu bringen. Aber die Kathedrale hat man
noch immer nach Möglichkeit geschont. Und ich hörte selbst aus dem Munde des kom
mandierenden Generals jenes Armeekorps um Reims, bei dem wir zu Gaste waren, daß
auch in der weiteren Entwicklung des Kampfes die Schonung dieses Bauwerks mit
größter Duldsamkeit durchgeführt werden soll. Es kommt noch hinzu, daß die bei der
Kathedrale aufgestellten Geschütze bisher nicht allzuviel Schaden in unsere Reihen getragen
haben. Allerdings ist schon manches Blut geflossen, so daß Grund genug wäre, mit dieser
Kriegführung aufzuräumen. Sollte eines Tages das schöne Gebäude in Trümmer sin
ken, sollte der prachtvolle Bau von den deutschen Granaten getroffen werden, dann
wissen wir uns frei von Schuld."
„tzuaranlo-nouviöms jour du bombardement!“ — „Neunundvierzigster Tag der
Beschießung!" — das ist die neue Zeitrechnung der Bewohner von Reims. Jeden Mor
gen, noch ehe es dämmert, kriechen, sie aus ihren durch Sandsäcke geschützten Kellern
hervor und eilen, Männer, Frauen und Kinder, mit einigen Flaschen Wein, Brot und
kaltem Fleisch für ein „AI krssoo-Mahl" unter dem Arm, auf die umliegenden Höhen
der Stadt, von wo sie dem Artillerieduell der französischen Batterien mit den auf den
eroberten Forts Brimont, Nogent l'Abbesse und Berru aufgestellten deutschen Geschützen
zusehen. Am Abend, wenn das Artilleriefeuer nachläßt, kehren sie dann in die Stadt
zurück, und die beiden noch erscheinenden Lokalblätter teilen ihnen mit, welchen Schaden
die Deutschen am 49. Tage der Beschießung angerichtet haben. Ein Mitarbeiter des
„Daily Graphic" erzählt, daß besonders die ältern Stadtteile schwer gelitten haben.
Was die Geschosse der deutschen Artillerie nicht zerstörten, vernichten ihre „mit brennen
dem Petroleum gefüllten Handgranaten". Von den 120 000 Bewohnern der Stadt sind
höchstens 40000 zurückgeblieben. Obgleich sie sich tagsüber versteckt halten oder auf die
Berge flüchten, sind doch bis Mitte November schon gegen 700 Opfer des Artillerie
kampfes geworden, und über 1000 mußten, schwerer oder leichter verwundet, fort
geschafft werden. Die meisten Verletzungen sind Folgen herabfallender Mauerstücke
»der einstürzender Häuser. Am Abend zeigt sich erst recht, wie verlasien die