Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

Der flandrische Kriegsschauplatz 
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„Die Schlacht an der belgischen Grenze," schreibt die „Times", „wird zu den größten 
Schlachten der Weltgeschichte gerechnet werden müssen. Es ist von der größten Wichtig 
keit, daß die Deutschen daran gehindert werden, festen Fuß in Calais zu fassen. Von der 
Frage, ob es den Deutschen gelingt oder nicht gelingt, in den Besitz von Calais zu kom 
men, wird der weitere Gang dieses Krieges unstreitig abhängen. Die britischen Truppen 
haben in der langen Geschichte Großbritanniens niemals in einem furchtbareren Kampf 
gestanden. Das Blutbad in den Kämpfen der letzten Tage, die von Tag zu Tag heftiger 
geworden sind, ist beispiellos groß gewesen und hat sogar die Verluste in den größten 
Schlachten des russisch-japanischen Krieges überstiegen. Die Deutschen haben ganze Ba 
taillone geopfert; aber die Verluste der Verbündeten sind nicht minder groß. Der ver 
zweifelte Kampf dauert immer noch weiter, und zwar zu Lande, zu Wasser, in der Luft 
und unter dem Meere. Einen solchen Kampf hat die Welt noch nie zuvor gesehen." 
Am Abend des 1. November trat eine Veränderung der Sachlage ein. Die Verbün 
deten schienen doch ernstliche Befürchtungen zu hegen, daß sie auf die Dauer chre Stel 
lungen nicht mehr behaupten könnten. Sie setzten deshalb das ganze Gebiet am Iser- 
kanal kilometerweit vollständig unter Wasser. Hiermit war ein weiteres Vordringen 
hüben und drüben unmöglich geworden; die deutschen Truppen wurden aus ihren Stel 
lungen herausgenommen, der Angriff mußte in anderer Richtung fortgesetzt werden. 
Die Pserschlacht im Oktober und November 
Von Luigi Barzini, deutsch von Henriette Zeis. 
Die N o r d s e e ist ein Mitstreiter im Ringen der Völker geworden. Sie ist den Bel 
giern zu Hilfe gekommen, als diese dem ungestümen Angriff der Deutschen schon beinahe 
erlagen, der sich von Ostende auf Dünkirchen und Calais zu längs der flandrischen und 
nordfranzösischen Küste zu entwickelten; da riefen sie die Flut zu Hilfe, und sie stürzte 
herein, um den fremden Heeren den Weg zu versperren. Das Wasser hat über das 
Feuer gesiegt, der wahre Sieger in der Iserschlacht ist das Meer geblieben. 
Das Ringen im Norden Frankreichs und in Westflandern war verzweifelt. Die 
deutschen Angriffe glichen den fürchterlichen Stößen eines Sturmbocks, den man gegen 
die schon wankende Mauer der verbündeten Streitkräfte ansetzte. Der teutonische Vor 
marsch forderte mit wildem Ungestüm einen Uebergang. Statt der ersehnten Rast harrte 
der von langen Märschen erschöpften belgischen Truppen die Schlacht. Sie übernahmen 
die Verteidigung der Iser und mußten in den dortigen Stellungen aushalten.... 
Das Verhängnis scheint jetzt für Dünkirchen abgewandt. Damals hörte man dort 
Tag und Nacht den Kanonendonner. Die Bevölkerung begann zu fliehen. Bange Er 
wartung lastete auf der Stadt. Mehrmals kamen aus England Züge von leeren Schiffen 
herüber, um das massenhaft aufgestapelte Material der Magazine zu verladen. Man 
war zur Räumung bereit. 
Angesichts des Zustandes ihrer Truppen sagten sich die höheren belgischen Offiziere: 
„Wir halten bis morgen nicht durch." Sie hielten aber bis übermorgen und auch alle 
folgenden Tage noch aus. Erschöpft, abgezehrt, mit zerfetzten Uniformen und durch 
gelaufenen Schuhen, bis an die Knöchel im Schlamm stehend, schienen diese Soldaten 
am Ende ihrer letzten Kraft angekommen zu sein. Aber sie hielten immer noch stand. 
Sie waren in dem Zustand angelangt, in dem der Mensch eine Gefahr überhaupt nicht 
mehr kennt; sie führten ihre Bewegungen halb automatisch, wie im Traum aus und 
standen wie festgebannt in ihren Schützengräben, unbekümmert um den Tod. In vier 
Tagen, bis zum Abend des 25. Oktober, waren 20 000 Mann gefallen. Wie die Japaner 
in den Laufgräben von Pei-Kao-Tai fchienen die Belgier nur den einen Befehl noch 
auszuführen: „Sterbet!"
	        
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