Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

D i e deutsche Sozialdemokratie und der Krieg 41 
Der Krieg ist im letzten Grunde eine Frage der Organisierung, eine Macht 
probe auf die bessere Art der Organisation unter den streitenden Völkern. Das bezieht 
sich nicht bloß auf die Organisierung der militärischen Kräfte, sondern ebenso auch auf 
die Organisierung der gesamten Nation, die durch einen Krieg plötzlich vor ganz neue 
Aufgaben gestellt wird. Es will scheinen, als ob die jähe Neuorientierung unserer wirt 
schaftlichen und sozialen Lage sich würdig dem mit wissenschaftlicher Präzision vollzogenen 
Auf- und Vormarsch unserer Armee zur Seite stellen darf. Wir sind auf der ganzen 
Linie gerüstet gewesen. Es bedurfte nur eines Winkes, und automatisch paßte sich unser 
militärisches, wirtschaftliches und soziales Leben den völlig veränderten Verhältnissen an. 
Ein Triumph der Disziplin und Opferwilligkeit. 
Die deutsche Sozialdemokratie und der Krieg 
Zu den großen Ueberraschungen, die der Völkerkrieg, namentlich auch dem feindlichen 
Ausland gebracht hat, gehört nicht zuletzt die patriotische Haltung der deutschen 
Sozialdemokratie. Ihre zahlreichen Anhänger bekennen im Heer denselben Geist und 
die gleiche Ausdauer wie ihre bürgerlichen Kameraden; die Kriegskredite sind in der 
Reichstagssitzung vom 4. August von sämtlichen sozialdemokratischen Abgeordneten be 
willigt worden, und am 2. Dezember hat nur Liebknecht dagegen gestimmt. Auch in 
der Auffassung von den Ursachen und den Endzielen des Krieges herrscht in wichtigen 
Einzelheiten Uebereinstimmung zwischen den deutschen Sozialdemokraten und dem bürger 
lichen Deutschland. So sagt der Reichstagsabgeordnete Or. Südekum in einer Stock 
holmer Zeitung vom Krieg: „Um was es sich hier handelt, das ist ein Versuch der drei 
verbündeten Mächte: Rußland, Frankreich und England, Deutschland zu Boden zu werfen 
und es aus dem Kreise der Großmächte zu drängen. Es handelt sich um die Zukunft 
Deutschlands, vielleicht um die Existenz Deutschlands überhaupt. Sein oder Nichtsein, 
das ist hier die Frage. Wir in Deutschland, und zwar alle Parteien und alle Volks 
schichten, sind von der Ueberzeugung tief durchdrungen, daß wir siegen müssen oder 
untergehen". Und über die Verletzung der Neutralität Belgiens: „Eine Wahl, 
die nur mit trauerndem Herzen getroffen wurde in der Stunde der ärgsten Notlage! 
Deutschland mußte die Neutralität Belgiens beiseite schieben, um sich selbst zu retten. 
Uebrigens: Neutralitätsvorlagen sind Staatsvorlagen wie alle anderen; sie sind nicht 
heiliger als Handels- und Seeverkehr oder sonstige internationale Vereinbarungen. Nicht 
bloß im Leben des einzelnen Menschen, auch im Leben der Völker gibt 
es ein Recht der Notwehr." 
Mit besonderem Nachdruck wird von mehreren hervorragenden Sozialdemokraten, so 
von Scheidemann in der „New-Iorker Volkszeitung" gesagt, daß auf Rußland die Haupt 
schuld am Kriege lastet, und die „Münchner Post" weist daraus hin, daß die gegen 
wärtige europäische Katastrophe nur die letzte Folge des Bündnisses zwischen Rußland 
und Frankreich von 1891 sei, das Vollmar auf dem Erfurter Parteitag desselben 
Jahres als „eine unerhörte fortwährende Drohung, die auf dem Reiche nicht nur, sondern 
auch auf der Partei ruht" bezeichnete. Wie entschlossen und unabänderlich die vater 
ländische Haltung der deutschen Sozialdemokratie in diesem Krieg ist, geht daraus hervor, 
daß von ihrer Seite an den Reichstag vor seiner zweiten Kriegstagung ein Ruf zur 
„Einigkeit in Gefahr" erging, den mehrere angesehene sozialdemokratische Zeitungen 
veröffentlichten. Es heißt darin: „Es ist nicht so, daß die Kampflust und die Widerstands 
kraft der Gegner durch die Enttäuschungen, die sie erlebten, gebrochen ist. Es ist nicht so, daß 
Deutschland jetzt nur noch die Friedenshand auszustrecken brauchte, damit die andern sie 
ergreifen. Wo sind die Friedenswünsche auf der andern Seite? Wir wollten sie wären
	        
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