Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

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Das deutsche Reich während des ersten Kriegshalbjahres 
ins Ohr, daß der Tod gar nicht ein Schrecken ist. Es flammt, während das Riesen 
opfer dargebracht wird, ein Glaube an Unsterblichkeit, an die Unzerstörbarkeit der Seele 
empor; ein Glaube ohne Worte, ohne Dogmen, ohne klare Gedanken sogar; und doch ein 
Glaube, wie er in keiner Kirche jemals frommer bekannt worden ist. In diesem großen 
Augenblick der Geschichte handelt eine ganze Jugend, wie sonst nur die Bevorzugten des 
Volkes handeln, wenn sie ihr Leben im Dienste einer Vervollkommnungsidee verschwenden. 
Kann man diesem freiwilligen Opfer ein Ziel nennen, das seiner ganz würdig wäre? 
Das Vaterland, der Staat, die Freiheit — das alles sind große, inhaltsschwere Worte; 
und doch ist mit ihnen allen ein Nützlichkeitsgedanke verbunden, der zur Erklärung nicht 
genügt. Der wahre Sinn des großen Opfers läßt sich stammelnd nur mit dem Worte 
Gott bezeichnen. Der Tod auf dem Schlachtfeld, wie unsere Krieger ihn erleiden und 
austeilen, ist Gottesdienst. Trotzdem die christliche Kirche sagt: Du sollst nicht töten. 
Denn der Kriegertod ist eine Handlung jener tieferen, vielleicht gar nicht in Worten zu 
fassenden Religiosität, der alle Religionen nur als Teilwerk erscheinen. Ihr Sinn ist, 
daß darin das Verdikt einer kosmischen Lebensethik verwirklicht wird, daß ein urweltliches 
Müssen wie das freie Wollen begeisterter Seelen erscheint. Es zeigt sich, daß auch die 
Völker, wie die einzelnen, nur halb bewußt leben, daß sie gelebt werden. „Es" lebt in ihnen. 
Denkt an all den Graus dort draußen, an den Tod in seinen schrecklichsten Gestalten, 
an das Geschrei und Gewimmer des Schmerzes, an das ungeheure Erstaunen, womit 
sich jetzt unter unbewegten hohen Himmeln, inmitten einer von allem Menschenjammer 
vollkommen unberührten Natur, Tausende von Verwundeten sterben fühlen, denkt an die 
Schrecknisse der Verwesung, an den Graus der Massengräber, an all die Verzweiflung 
der gräßlich gefolterten Kreatur — aber denkt nur daran, um das Opfer in seiner 
Grandiosität zu fühlen, um mit aller Kraft zu empfinden, wie leidenschaftlich eine ganze 
junge Menschheit hier dem Gotte des ewigen Lebens entgegenstürmt. Macht euch fähig, 
das Opfer zu begreifen, indem ihr euch selbst bereitfinden laßt, wann und wo immer 
der Tod an euch herantritt, indem ihr euch verschwendet für das Wachstum der Mensch 
heit, indem ihr Leben, Wohlstand und Glück unbedenklich für etwas Ueberpersönliches ein 
setzt. Nur das rechtfertigt den Krieg und den Jubel über die Vernichtung des Feindes. 
Dieses, ihr teuren Toten, ist die Lehre, die euer Opfer uns erteilt. Ihr habt gezeigt, 
daß das Leben nichts ist, wenn es nicht irgendwie als Opfer angeboten wird, daß es 
erbärmlich ist zu atmen, wenn man sich nicht für einen Gedanken, der über das Persön 
liche hinausweist, hingibt, und daß wir allzumal Krieger sein sollen, zu jeder Stunde, 
bereit zu kämpfen, zu siegen, zu sterben. Wir wären euer ewig unwürdig, wenn eure 
Hingabe nicht immer aufs neue Hingabe entzündete, und wenn wir das höchste Gefühl 
von uns selbst nicht suchten, indem wir überhaupt nicht mehr an unsere kleine Endlichkeit 
denken. Was so an Dauer verloren gehen sollte, wird an Kraft gewonnen, an Leben 
digkeit und Fülle. Ein Volk, das auch im Frieden bereit ist, sich zu verschwenden, wie 
sich unsere Jugend auf den Kampffeldern nun verschwendet, wird seine Lebenskraft so 
steigern, daß es wie von selbst das Genie auf allen Stufen hervorbringt. 
Mit dem Willen zum Opfer in uns können wir triumphierend sagen: Tod wo ist 
dein Stachel!, können wir das Leben kräftiger als je bejahen und an den frischen Grä 
bern der Toten eine Hymne an das Leben singen. Diese feierlich frohe Hymne, ihr 
jungen Helden, soll euer Tedeum sein. Während ihr nach außen siegtet, habt ihr nach 
innen einen noch größeren Sieg errungen, denn ihr macht es, daß die Nation Gott in 
einer neuen Weise fühlt. Wenn auch Tausende noch leichtsinnig abseits stehen, das 
Große, das vor sich geht, nicht begreifen und uns mit Albernheiten ärgern: von Tag 
zu Tag erzieht ihr die Nation doch zu einem neuen Leben. Wie ein fruchtbarer Früh 
lingsregen geht die Trauer um euer junges Heldenleben über das Land dahin.
	        
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