Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

Das deutsche Volk 
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Was heut' noch frisch und blühend steht, 
Wird morgen schon hinweggemäht! 
Weh' Rosen, weh' Lilien, 
Weh' krause Brasilien! 
Selbst auch Kaiserkronen 
Wird es nicht verschonen, 
Müßt in den Erntekranz hinein... 
Wer wird bleiben? 
Schwer und langsam geht eine Tagelöhnersfrau durch das Hoftor hinaus. Ihr Mann 
ist mit der Landwehr fort. Hoch trägt sie reife Frucht unter ihrem Herzen. Still geht 
sie die Dorsstraße entlang durch den Abendfrieden. 
Den Gefallenen 
Von Karl Scheffler 
Es ist, als sei in der Folge der großen Kriege, die die Geschichte der Völker gliedert, 
der Rhythmus des Periodischen; es ist, als sei die Erde ein lebendiger Körper unter 
lebendigen Sternenwesen und jeder Mensch eine winzige Zellein diesem Riesenorganismus, 
als müßten die Zellen zeitweise aber gegeneinander wüten, damit sich die Lebenskraft 
erneuere, als stieße der Planetenkörper in gewissen Zwischenräumen Blutwellen aus, um 
sich zu reinigen. Diesen Gedanken kann der einzelne in seinem abhängigen Zellendasein 
freilich nicht zu Ende denken, er kann sein Verhältnis zu dem ungeheuren Ganzen nicht 
überblicken; in jedem Menschen aber ist doch der Instinkt, daß sein Leben ein absolutes 
Leben gar nicht ist, sondern nur ein Zellenleben innerhalb einer geheimnisvollen kos 
mischen Allheit, und daß alles, was man mit Persönlichkeit bezeichnet, sehr wenig be 
deutet gegenüber dieser göttlichen Gebundenheit. 
Nur ein solcher Instinkt kann die Hingabe erklären, womit in diesem Kriege Millionen 
von Volksgenossen das Höchste darbieten, was sie haben: das Leben. Gewiß kämpfen 
sie alle auch für klar erkennbare Ziele, für Haus und Hof, Weib und Kind, Existenz 
und Staat. Aber dieser Krieg ist mehr noch als eine Abwehr frecher Angriffe, ist mehr 
noch als eine Handlung des Volkszorns. Ueber das defensive Bedürfnis hinaus werden 
unerhörte Opfer gebracht. Durch die Nation geht es wie ein Rausch der Todeslust. 
Das Leben wird von Hunderttausenden hingeworfen, als sei es nichts. 
Und doch will alle Kreatur sonst nichts als leben. Und sei es nur auf eines Quadrat 
fußes Raum, in schwindelnder Höhe und in steter Gefahr abzustürzen, wie jener Priester 
in Viktor Hugos Roman. Nur leben, atmen und sich des Lichts, des eigenen Herz 
schlags freuen; und nicht an die schreckliche Nacht des Todes denken! Die bange Lebens 
gier und Todesfurcht ist auf einen Schlag nun verschwunden. Der beste Teil des Volkes 
sieht festen Blickes jenem Opfer ins Auge, das nur einmal gebracht werden kann; singend 
und begeistert geht die Jugend dem Tode entgegen. Es ist nicht wahr, daß die Krieger 
von der Staatsgewalt, von der Konvention zu ihrem Opfer gezwungen würden; ihr 
Müssen ist auch ein freies Wollen. Sie sehnen sich nach Wunden, Leiden und Tod und 
nach dem Sieg, der durch alles dieses erkauft wird, wie nach einem persönlichen Glück. 
Sie schreckt der Tod nicht mehr, als er die Frau schreckt, die gebären soll. Sollte ihr 
Opfer vielleicht das höchste Glück sein, das dem Menschen zuteil werden kann? Ist in 
dieser Sehnsucht nach Leiden nicht ein tiefer Sinn; ist in diesem fanatischen Gehorsam 
dem Schicksal gegenüber nicht höchstes Herrschgefühl? Es ist nur so vorstellbar, daß 
hinter diesem allgemeinen Willen zum Lebensopfer ein geheimnisvolles Müssen steht, und 
daß der Instinkt den göttlichen Befehl deutlich vernimmt, wenn der Verstand ihn sich 
auch nicht klar machen kann. Zugleich mit dem Gebot, ein Krieger zu sein für ein un 
bekanntes und unsichtbares Wachstum, flüstert der Erdgeist seinen Kindern die Gewißheit
	        
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