Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

Bei den schweren Geschützen vor der Sperrfortlinie 131 
streckend. Jedes von ihnen 170 Zentner wiegend. Ihre Räder waren umgeben von 
einem Ring breiter, mit Ketten verbundener Platten, die ihnen ermöglichten, auch auf 
schlechtesten Wegen vorwärts zu kommen. An die plumpen Füße vorsintflutlicher Riesen- 
tiere gemahnten diese wunderlichen Vorrichtungen. Tas Ganze ein unvergeßlich selt 
sames Bild. Dieser herrliche, einem Urwald ähnliche Forst, von vereinzelten Sonnen 
lichtern durchrieselt, ein Rahmen für eine Fafnerszene aus der Nibelungenwelt, und 
unter dem Blätterdach, geduckt und doch riesig, diese schwarzen Ungeheuer, die modernster 
Menschengeist geformt und die Verderben speien konnten, gegen das aller vorweltlicher 
Drachenschrecken verblaßt. 
Ringsum im Unterholz und Farren lagen die Körbe mit der Munition. Unter einem 
Baum war die Fernsprechzelle angebracht, eine ganz niedrige Bretterhütte, so niedrig, 
daß der Sprecher oder Horcher ganz flach auf Stroh darin liegen muß. Oben war sie 
überdies mit Zweigen zugedeckt, so daß sie einem Fleck Unterholz glich. 
Ein junger, frischer Oberleutnant erklärte uns auch hier sehr instruktiv die Konstruk 
tion der Geschütze . . . Wir sahen ein paar Schüsse mit an, die hier nur auf halb so 
große Entfernung abgegeben wurden wre bei der ersten Batterie von gestern, aber 
in einem gewaltigen Höhenwinkel. Es war für einen Laien eigentlich sonderbar zu sehen, 
wie der furchtbare Blitzstrahl anscheinend ins Blaue hinein, oben zwischen die Wipfel 
hindurchging. Niemand konnte von hier aus das Ziel sehen, und doch wurde es mit 
mathematischer Sicherheit getroffen. Sehr interessant war die Rohrrücklaufwirkung zu 
beobachten; wie das im Schuß nach unten gedrückte Rohr behende wieder in seine alte 
Stellung zurückkletterte. 
Wir verließen dann auch diese Waldbatterie und durchquerten nun den Forst bis zum 
Ende, den Höhen, die hier baumlos zum Maasufer hinabsteigen, in der Gegend von 
St. Mihiel, wo die Unsern schon über den Fluß gedrungen waren. Die Stadt 
St. Mihiel, wo das geschehen und die bereits in deutschen Händen war, konnten wir 
von unserm Standort nicht sehen. Nur ihren nördlichen Vorort Chauvoncourt und 
noch weiter nördlich das Dorf Paroches. Auf der Höhe oberhalb dieses Dorfes lag ein 
Haufwerk dunkler Wälle in Form eines unregelmäßigen Vielecks, das von der eben ge 
sehenen Batterie zerschossene Fort Paroches. Deutlich konnte man durch das Glas er 
kennen, wie wild zerwühlt, ein Schutthaufen nur noch, diese Befestigungen waren, an 
scheinend ohne jedes Leben, ein finsterer Ort des Todes. Weithin schweift der Blick 
über das grüne Tal der Maas mit seinem ebenen Wiesenboden, der Eisenbahnlinie, die sich 
in ihm dahinzog, und zu den jenseitigen Höhen. Allenthalben ertönte rings das Krachen 
und Rollen des Gefchützfeuers, hier und da und dort an den Gehängen jenseits der 
Maas erschienen die weißen Wölkchen, die die Stellung einer feuernden Batterie an 
zeigten. Teils waren es deutsche, teils französische. Welche aber jedesmal, das war 
von hier nicht zu erkennen, so beherrschend auch unser Standpunkt war. . . 
Wir erreichen wohlbehalten unsern Wagen und kehren nun zurück zur Ebene, um zu 
letzt noch eine weitere Batterie, die interessanteste von allen, aufzusuchen. Sie hat in 
diesem Kriege bereits eine besondere Berühmtheit gewonnen. 
Zwischen Obstbäumen und Weinbergen mit reisenden dunkeln Trauben beschoß sie das 
Sperrfort Liouville. Ihre Rohre waren so steil gestellt, daß ihr Geschoß einen Bogen 
von 4800 m Scheitelhöhe, also ungefähr die Erhebung des Montblanc vom Meeres 
spiegel an, beschrieb. Betäubend war der Knall des Schusses; merkwürdiger aber noch 
das lange dauernde, wilde, Übernatürliche Heulen und Pfeifen, mit dem das Riesen 
geschoß sich in den Aether emporbohrte, hoch hinauf gefolgt von einem regelmäßigen 
weißen Dampfring. Einen Augenblick sehe ich auch das Geschoß selbst, bereits in großer 
Höhe, aufleuchten, einen schmalen, kurzen Blitz im Blau . . . (Köln. Zeug.
	        
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