Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

234 Das Ringen im Osten bis zur Neugruppierung der verbündeten Heere 
Lemberg unter russischer Verwaltung 
Zum Gouverneur von Lemberg ist Graf Schremetjew ernannt worden. Die 
städtischen Behörden wurden bis auf weiteres im Amt belassen. Tie Stadt 
bewohner mußten die Waffen abliefern. Für die Ruhe in der Stadt bürgen 16 Geiseln, 
die im Hotel George untergebracht sind, sich frei bewegen können, aber die Stadt nicht 
verlassen dürfen. 
Aus der Straße darf nur russisch oder polnisch gesprochen werden. Alle Vereine 
sind verboten und alle Unterrichtsanstalten geschlossen worden. Um die russische Sprache 
rasch einzubürgern, wurden kurzfristige Kurse für Lehrer eingerichtet. Ter Rubel hat 
einen Zwangskurs von 3 Kronen 30 Heller. Dieser hohe Kurs soll eine Kontribution 
für die Stadt darstellen. 
In der Stadt herrscht Totenstille. Die Bürger, besonders die Juden, haben allen 
Grund dazu. In dem Lemberger „Jüdischen Tagblatt", das gegenwärtig in Wien für 
die zahlreichen galizischen Flüchtlinge erscheint, berichtet ein Augenzeuge folgende Einzel 
heiten: „Bis Sonntag den 23. September war es in Lemberg ruhig. Die Bevölkerung, 
insbesondere die Juden, war sehr niedergeschlagen. Die Gassen waren wie ausgestorben, 
die meisten Geschäfte gesperrt. Nach etlichen Tagen begann sich die Bevölkerung an die 
neuen Verhältnisse zu gewöhnen; man öffnete die Geschäfte und spazierte in der Stadt 
herum, die Kaufhäuser sind offen gewesen, von den polnischen Zeitungen sind erschienen 
„Wiek Nowy", „Wieczorna" und „Slowo Polskie". Die zwei ersten Blätter haben noch 
halbwegs vorsichtig geschrieben, „Slowo Polskie" war aber unverhüllt in seinem Mos- 
kalophilismus. Das Blatt schrieb fortwährend, Oesterreich müsse fallen und die Polen 
müssen es mit Rußland halten. Die Juden hoben diese Nummern vom „Slowo Polskie" 
aus eine bessere Zeit auf. An einem Sonntag, dem 27., ist das Unglück gekommen. 
Plötzlich begannen russische Soldaten auf der Krakauer-, Bema-, Kasimieschowska- und 
Boimowgasse auf vorübergehende Juden und in die Häuser hinein zu schießen. Auf der 
Gasse wurden 14 Juden getötet, die Mehrzahl aus Winiky, welche zufällig nach Lem 
berg gekommen sind. Auch ein Mädchen aus der „Podembesgaß" ist erschossen worden. 
Einige dreißig Personen sind verwundet worden. Es hieß, daß irgendwo ein Jude einen 
russischen Soldaten erschossen habe. Das ist aber nicht wahr, wenigstens hat keiner etwas 
davon gehört. In der Stadt ist es seither einsam geworden. Kein einziger Jude traute 
sich aus der Wohnung, überdies begann man die verlassenen Wohnungen zu berauben 
und zu plündern. Gewöhnlich haben die Hausmeister Gruppen von russischen Soldaten 
die Wohnungen gezeigt, die sodann geplündert wurden." 
Auch „offiziell" ist geplündert worden: aus dem Ossolinskischen Nationalmuseum 
wurden die wertvollsten kunsthistorischen Sammlungen und Bücherschätze nach 
Petersburg entführt, und zwar 1034 Gemälde, darunter Meisterwerke alter und 
neuer Zeit von Raffael, Tintoretto, Luca Giordano, Gerard, Matejko und anderen, 
ferner 28000 Kupferstiche, 17 000 Münzen, 4300 Medaillen, 142 000 Bücher, 5000 Hand 
schriften, nationalpolnische Reliquien und andere wertvolle historische Dokumente. 
Am rücksichtslosesten gingen die Russen in konfessioneller Beziehung vor. Der 
russische Metropolit Eulogius kam nach Lemberg und hielt am 27. September in der 
griechisch-katholischen Kirche russischen Gottesdienst ab, wobei der russische Glaube für 
den „herrschenden" erklärt wurde. Der unionistische Erzbischof Szeptyeti wurde nach 
Nischni Nowgorod gebracht, damit er diesem Gewaltakt gegen die Griechisch-Katholische 
Union nicht entgegentreten konnte. Die ukrainische parlamentarische Vertretung Galiziens 
erhob gegen diese Vergewaltigung der Glaubensfreiheit energischen Protest.
	        
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