Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

222 Das Ringen im Osten bis zur Neugruppierung der verbündeten Heere 
Die Lage in den besetzten Teilen von Russisch-Polen 
Die in Russisch-Polen unter Graf Meervelt in Tätigkeit getretene deutsche Zivil 
verwaltung (vgl. S. 71) hat außer den üblichen Verwaltungsmaßnahmen sofort 
Vorkehrungen gegen die drohende Not getroffen. Eine Holländerin, die aus 
Lodz nach Rotterdam zurückgekehrt ist, berichtet dem „Nieuwe Rotterdamsche Courant": 
„Im September hörte die Kohlenzufuhr auf und infolgedessen stand die ganze Industrie 
still. Darauf folgte natürlich der Mangel an Arbeit sowie die Erhöhung der Preise. 
Die Zeitungen berichteten täglich von Menschen, die vor Hunger auf der Straße in 
Ohnmacht fielen. Das änderte sich erheblich, sobald die Deutschen mit einem aus 
gedehnten Verpflegungsdienst in die Stadt kamen. Die Soldaten gaben der Bevölkerung 
nicht nur Brot, sondern verschafften auch jedem, der sich meldete, warmes Essen. Ueberall 
wo die Deutschen sich in Polen zeigen, treten sie menschenfreundlich auf. So verteilten 
sie in Pietrokow 500 Waggons Kohlen unter den Einwohnern. Die ganze Stadt er 
hielt durch die Verwaltung der Deutschen ein erheblich anderes Aussehen, besonders durch 
die Reinigung der Straßen. Das Einvernehmen zwischen der deutschen Besatzung und 
der Bevölkerung, zwischen Polen und Deutschen, Christen und Juden war ausgezeichnet. 
Die deutschen Soldaten und Offiziere in Lodz sprachen polnisch, da sie zum größten Teil 
aus Deutsch-Polen kamen." 
Als Verstäudigungsmittel zwischen Deutschtum und Polentum läßt das deutsche Armee- 
Oberkommando allwöchentlich in THorn ein in polnischer Sprache abgefaßtes amtliches 
Organ, die „Gazeta Wojenna" (Kriegszeitung) erscheinen. Die Nachfrage nach diesem 
Blatt wächst beständig. 
Besondere Schwierigkeiten machte der deutschen Verwaltung nur die Uebernahme 
der russischenEisen bahnen. Da nur die Strecke Kattowitz—Czenstochau—Petrikau 
der Warschau^Wiener-Bahn normalspurig ist, mußten die übrigen Strecken für Normal 
spur umgebaut werden, was allerdings erstaunlich rasch von statten ging. 
Die polnischen Ortsbehörden und Körperschaften kamen den deutschen 
und österreichisch-ungarischen Beamten überall auf das liebenswürdigste entgegen und 
beteiligten sich energisch an der Aufrechterhaltung der Ordnung. So wird von öster 
reichischer Seite über die Verwaltung im Gouvernement Kielce berichtet: „Nach der 
Räumung des Gouvernements durch die russischen Behörden haben die polnischen Kom 
missariate die Verwaltung der Gemeinden in die Hand genommen und überall autonome 
Körperschaften eingesetzt. Durch die Errichtung von Milizen und Bürgerwehren konnte 
der Sicherheitsdienst organisiert und dem Treiben der aus den Gefängnissen entlassenen 
Verbrecherbanden ein Riegel vorgeschoben werden. Gleichzeitig ließ sich der Spionage 
auf den Leib rücken. Auf die sich versteckt haltenden russischen Beamten, die ihr Kund 
schafterhandwerk weiterhin ausüben wollten, wurde eine förmliche Treibjagd veranstaltet; 
die auf frischer Tat Ergriffenen wurden sofort abgeurteilt, die andern nach Krakau ge 
bracht und daselbst den Behörden übergeben." 
* * * 
Ein Stimmungsbild aus dem von den Deutschen besetzten Czenstochau gibt die 
„Vossische Zeitung". „Werktags wie Sonntags," schreibt sie, „sind die Leute in Czen 
stochau auf der Straße. Glückliches Land, wo alle Tage Sonntag ist, mag mancher 
denken. Aber die Ursachen dieses „Glückes" sind für die Einwohner von recht zweifel 
hafter Art. Die Leute sind alle aus den Straßen — weil sie nichts anderes zu tun 
haben. Abgesehen von den Inhabern der kleinen offenen Läden, die mit Lebensmitteln, 
Tabak usw. handeln, und abgesehen von den Aerzten, die in den Spitälern unsere Ver 
wundeten pflegen und den Militär- und Sanitätsmannschaflen, die ihren Pflichten nach-
	        
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