Volltext: Der Völkerkrieg Band 2 (2 / 1915)

208 Das Ringen im Osten bis zur Neugruppierung der verbündeten Heere 
Eine russische Kolonne in Lyck 
Während der Angriff der russischen Njemenarmee im Gouvernement Suwalki zum 
Stehen kam, gelang es einer anderen russischen Kolonne, von Lomsha aus Lyck zu er 
reichen. Sie sollte mit der Njemenarmee in der Weise kooperieren, daß diese in breiter 
Front ihren Vormarsch nach Westen antrat, während die Kolonne, die die hinter der 
Narewlinie gesammelten Kräfte umfaßte, in die rechte, südliche Flanke der Deutschen 
vorstoßen sollte. Vielleicht war sogar beabsichtigt, den im Gouvernement Suwalki 
kämpfenden deutschen Truppen die rückwärtigen Verbindungen abzuschneiden. 
Der nächste Weg nach Lyck wäre der von Osowice aus gewesen; aber hier lag das 
deutsche Belagerungskorps. Ein Angriff gegen dieses versprach wenig Erfolg, wäre auch zu 
zeitraubend gewesen. So wählte man den nächstgelegenen Uebergang von Lomsha aus. 
Die Absicht des Flanken st oßes geht klar daraus hervor, daß die Kolonne nicht 
den für sie gegebenen Weg auf Johannisburg nahm, sondern nach Nordosten umbog 
und auf Lyck marschierte, das Belagerungskorps vor Osowice gewissermaßen umgehend. 
Der Plan der Russen wurde vereitelt. Als sich das Eingreifen der aus Lyck vorgestoßenen 
Kräfte fühlbar machen konnte, war das Vorgehen der Njemenarmee bereits abgeschlagen. 
Ueber diesen zweiten Vormarsch der Russen auf Lyck weiß der Kriegskorrespondent 
der „Münchner Neuesten Nachrichten" noch folgendes zu erzählen: „Bei Sybba stießen 
die Russen auf energischen deutschen Widerstand. Unter anderem bot der Landwehr 
hauptmann Meyer, in seinem Zivilverhältnis Oberförster, mit seiner Schar der Ueber- 
macht erfolgreich die Spitze. Aus geschickt angelegten Schützengräben wurden die Sibiriaken, 
die stürmen wollten, mit Feuer überschüttet, ein Gegenstoß mit dem Bajonett brachte 
ihre Reihen ins Wanken. Aber schließlich war die russische Uebermacht, die nicht mehr 
darauf bestand, den Stier bei den Hörnern zu fassen, sondern zu Umgehungen ihre Zu 
flucht nahm, zu groß. Langsam zog am 8. Oktober der Verteidiger nordwärts und überließ 
die Stadt dem Gegner." Die Beschießung von Osowice mußte natürlich aufgegeben werden. 
Erst nach einigen Tagen gelang es, Lyck wieder in deutschen Besitz zu bringen. 
Baul Lindenberg berichtet: „Nach schweren Kämpfen besetzte unsere Vorhut am Nachmittag 
des 13. Oktober die Stadt. Es war der Abzug des Feindes gemeldet worden. Die Unseren 
machten auf dem Markt Halt, setzten die Gewehre zusammen, holten Wasser, wollten 
abkochen. Da prasselt es mit einemmal auf sie von allen Seiten herab, Infanterie- und 
Maschinengewehrfeuer, aus jedem Fenster, selbst vom Kirchturm sprüht es nieder. Die 
Russen hatten sich in den Häusern festgesetzt und selbst in die Wohnungen ihre Maschinen 
gewehre gebracht. Am folgenden Tage wurden sie dann ausgeräuchert durch unsere 
schwere Artillerie. Da sie einen Beobachtungsposten auf dem Kirchturm hatten, mußte 
auch dieser unter Feuer genommen .werden. Dann ging unsere Infanterie im Sturm 
vor. Der Feind hielt nochmals im hinter Lyck liegenden Sybbaer Wald stand, es kam 
zu schwerem Aufeinanderprall, aber auch hier drangen wir erfolgreich vor, die Russen 
über die Grenze treibend und sie unausgesetzt verfolgend . . . 
Wie sah es in Lyck aus! Von den Tausenden betriebsamen Menschen waren nur ein 
paar ganz verschüchterte zu erblicken, sonst alles leer, verödet! Ein Drittel der Stadt 
zerstört, die übrigen zwei Drittel verwüstet. Furchtbar der Anblick des Marktes! Nur 
die Gerippe oer meisten Häuser, auch die stattliche protestantische Kirche bis auf die 
Backsteinmauern ausgebrannt, der obere Teil des Turmes eingestürzt, die Glocke am 
Eingang liegend. Alle Läden und Wohnungen ausgeraubt, zertrümmert, beschmutzt, viele 
der Gebäude und ihre Dächer wie durchsiebt von Schrapnells und Granaten. Und mit 
steigendem Grauen vernehme ich von sächsischen Artilleristen, die auf Grund eigener Wahr 
nehmungen berichten, von den an Frauen und Mädchen begangenen entsetzlichen Scheuß 
lichkeiten, die an die gräßlichsten Freveltaten des Neronischen Zeitalters erinnern."
	        
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