Volltext: Der Völkerkrieg Band 1 (1 / 1914)

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B i s zum Ausbruch des Kriegs 
Die schwersten Gefahren, die durch die Ereignisse am Balkan heraufbeschworen waren, 
schienen überwunden. Da tat sich mit der Ermordung meines Freundes, des Erzherzogs 
Franz Ferdinand ein Abgrund auf. Mein hoher Verbündeter, der Kaiser und König 
Franz Josef, war gezwungen, zu den Waffen zu greifen, um die Sicherheit seines 
Reiches gegen gefährliche Umtriebe aus einem Nachbarstaat zu verteidigen. Bei der 
Verfolgung ihrer berechtigten Interessen ist der verbündeten Monarchie das Russische 
Reich in den Weg getreten. An die Seite Oesterreich-Ungarns ruft uns nicht nur unsere 
Bündnispflicht. Uns fällt zugleich die gewaltige Aufgabe zu, mit der alten Kultur 
gemeinschaft der beiden Reiche unsere eigene Stellung gegen den Ansturm feindlicher 
Kräfte zu schirmen. 
Mit schwerem Herzen habe ich meine Armee gegen einen Nachbar mobilisieren müssen, 
mit dem sie auf so vielen Schlachtfeldern gemeinsam gefochten hat. Mit aufrichtigem 
Leid sah ich eine von Deutschland treu bewahrte Freundschaft zerbrechen. Die kaiserliche 
russische Regierung hat sich, dem Drängen eines unersättlichen Nationalismus nach 
gebend, für einen Staat eingesetzt, der durch Begünstigung verbrecherischer Anschläge das 
Unheil dieses Krieges veranlaßte. Daß auch Frankreich sich auf die Seite unserer Gegner 
gestellt hat, konnte uns nicht überraschen. Zu oft sind unsere Bemühungen, mit der 
französischen Republik zu fteundlicheren Beziehungen zu gelangen, auf alte Hoffnungen 
und alten Groll gestoßen. 
Geehrte Herren! 
Was menschliche Einsicht und Kraft vermag, um ein Volk für die letzten Entschei 
dungen zu wappnen, das ist mit Ihrer patriotischen Hilfe geschehen. Die Feindseligkeit, 
die im Osten und im Westen seit langer Zeit um sich gegriffen hat, ist nun zu hellen 
Flammen aufgelodert. Die gegenwärtige Lage ging nicht aus vorübergehenden Jnter- 
essenkonflikten oder diplomatischen Konstellationen hervor, sie ist das Ergebnis eines seit 
langen Jahren tätigen Uebelwollens gegen Macht und Gedeihen des Deutschen Reiches. 
Uns treibt nicht Eroberungslust, uns beseelt der unbeugsame Wille, den Platz zu 
bewahren, auf den Gott uns gestellt hat, für uns und alle kommenden Geschlechter. 
Aus den Schriftstücken, die Ihnen zugegangen sind, werden Sie ersehen, wie meine 
Regierung und vor allem mein Kanzler bis zum letzten Augenblick bemüht waren, das 
Aeußerste abzuwenden. In aufgedrungener Notwehr mit reinem Gewissen und reiner 
Hand ergreifen wir das Schwert. 
An die Völker und Stämme des Deutschen Reichs ergeht mein Ruf, mit gesamter 
Kraft, in brüderlichem Zusammenstehen mit unseren Bundesgenossen, zu verteidigen, 
was wir in friedlicher Arbeit geschaffen haben. Nach dem Beispiel unserer Väter fest 
und getreu, ernst und ritterlich, demütig vor Gott und kampfesfroh vor dem Feind, so 
vertrauen wir der ewigen Allmacht, die unsere Abwehr stärken und zu gutem Ende 
lenken wolle! 
Auf Sie, geehrte Herren, blickt heute, um seine Fürsten und Führer geschart, das 
ganze deutsche Volk. Fassen Sie Ihre Entschlüsse einmütig und schnell — das ist mein 
inniger Wunsch. 
Die Stunde im Weißen Saal 
von Emil Ludwig 
Mittag. Der Weiße Saal, an Maßen, Vornehmheit, Kolorit der schönste Saal in 
Preußen, ist ganz leer. Ein paar alte Lakaien, Riesen in Rot und Gold, stehen am 
Absatz der doppelten Treppe. In der Mitte der Fensterwand steht der Thron; die Patina 
von zwei Jahrhunderten Geschichte liegt über ihm. Plötzlich fällt der Blick auf Männer 
köpfe, Helme, Schwerter vergangener Zeiten. In neun Nischen stehen da die preußischen
	        
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