Volltext: Der Völkerkrieg Band 1 (1 / 1914)

816 Die Wirkungen der ersten Kriegsereignisse auf Frankreich und England 
hinausfahren und als Scheibe für unsere neuen Naval Volunteers dienen lassen kann." 
— „Ich habe," schreibt ein Dritter, „mehrere deutsche Damen zu Freundinnen oder was 
man so nennt. Eine ist mit einem Offizier des stehenden Heeres verheiratet. Sie er 
klärte mir im Vertrauen, daß Deutschland sich bis an die Zähne bewaffne, um nach 
England zu ziehen, und daß der Angriff in einer Weise erfolgen würde, die England 
zum Kampf zwingen müßte. Ich kenne die Deutschen und weiß, daß sie schlimmer sind 
als die Indianer und die Farbigen, die Basuto und alle mir bekannten Stämme. Sie 
sind sehr unaufrichtig und doppelzüngig. Natürlich möchten sie naturalisiert sein des 
Schutzes halber." — Ein Vierter läßt sich vernehmen: „Man jage alle in England 
bleibenden Deutschen mit Sack und Pack hinaus, ob sie wollen oder nicht, ungeachtet 
ihrer bangen Versicherungen der Treue gegen England, und man lasse keinen Deutschen 
inehr in unser Land zurückkehren, und sei er auch noch so anständig." — Ein Fünfter 
schlägt vor: „Man lasse aus unsern Gefängnissen, außer Fälschern und Mördern, alle 
körperlich tauglichen Gefangenen hinaus, die im Heer und in der Flotte dienen wollen, 
und lasse die deutschen Reservisten und Kriegsgefangenen die Arbeit in den Straf 
anstalten verrichten. Da England diese Leute ernähren und unterbringen muß, so mögen 
sie auch für ihren Unterhalt sorgen." — Ein Sechster meint: „Ich bin nicht blutdürstig, 
allein in jedem andern Lande werden überführte Spione erschossen, und es heißt bei 
nahe Spiel treiben mit der materiellen und moralischen Sicherheit des Landes, wenn wir 
sie, wie es zu geschehen scheint, kaum anders als unsere gewöhnlichen Verbrecher behandeln." 
Es wäre jedoch ganz verfehlt, aus solchen Gehässigkeiten aus eine starke Begeisterung 
für den Krieg zu schließen. Das alte Phlegma hat bei den meisten wieder die Ober 
hand gewonnen. Der Londoner Korrespondent einer schwedischen Zeitung schreibt: 
„Als Beweis dafür, wie unbeküinmert inan hier im allgemeinen ist, und wie man 
gar nicht imstande ist, die Bedeutung dieses europäischen Kriegsbrandes und die furcht 
bare Gefahr für das britische Reich zu verstehen, mag dienen, daß an mehreren 
Tagen in der Woche Wettrennen stattfinden, daß die Cricketwettspiele fortgesetzt werden 
und daß man eifrig mit dem Beginn der Fußballsaison beschäftigt ist. Auch heute konnte 
man sehen, wie sich Tausende von jungen Männern ihren Sonnabendnachmittag damit 
vertrieben, daß sie draußen bei der Stamford Bridge diesen modernen Gladiatorenspielen 
zusahen, und am Abend bringen die Zeitungen große Artikel, in denen sie als die letzten 
wichtigen Neuigkeiten das Resultat der Cricketwettspiele mitteilen, als wäre dies ebenso 
bedeutend wie die Nachrichten vom Kriegsschauplatz." 
Das Londoner Geschäftsleben geht seinen gewohnten Gang. Neben den Ausrufen 
an die Freiwilligen findet man überall in den Schaufenstern den Anschlag: „Business 
as nsual!“ In den Restaurants sind die Gäste, wie gewöhnlich, ernst und ganz be 
schäftigt mit ihrem Rostbeaf. 
Interessant ist es, wie sich das „Giornale d'Jtalia" berichten läßt, abends in 
den Restaurants zu beobachten, wie sich das Publikum beim Spielen der englischen 
Nationalhymne verhält. Wer am meisten Beifall spende, seien die anwesenden neu 
tralen Ausländer, die doch der ganze Krieg eigentlich gar nichts angehe. Die Eng 
länder selbst dagegen tuen den Mund nicht auf und seien vollständig indifferent, denn 
der Krieg existiere für sie fast gar nicht, es sei denn, daß darauf gewettet werde. 
Von einer hochpolitischen und ethischen Auffassung der Ereignisse sei gar keine Rede. 
Die große Masse sehe im Geiste nur ein in Handel, Industrie, Bankwesen usw. ver 
nichtetes Deutschland und träume von den gewaltigen Goldströmen, die nach Deutsch 
lands Untergang in die Londoner Kassenschränke fließen werden. Der anfängliche 
Enthusiasmus sei längst vorüber. „Welcher Engländer," sagt der Korrespondent, „denkt 
auch nur einen Augenblick lang an die Möglichkeit einer Niederlage Englands durch
	        
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