Volltext: Der Völkerkrieg Band 1 (1 / 1914)

Der Vorstoß nach Nordbelgien 
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Photograph Schrecken und Geheul hervorrief, als er seinen Apparat auf die Flüchtenden 
richtete, da sie glaubten, es sei eine Mitrailleuse. 
Den Höhepunkt erreichte die Panik, als um drei Uhr nachts der Oberbürgermeister 
Max eine Proklamation anschlagen ließ, in der er die Bürger aufforderte, sich jeder 
Feindseligkeit und jeden Waffengebrauchs zu enthalten, andererseits jede Auskunft über 
belgische Truppen zu verweigern und sich vor Spionen und Agenten zu hüten; das 
Privateigentum und Leben der Bürger, die Ueberzeugung des Einzelnen müsse der 
Feind gemäß den Gesetzen in Ehren halten. So lange er (der Bürgermeister) lebe, werde 
er mit aller Kraft die Bürger beschützen. 
Diese Proklamation wirkte wie ein Donnerschlag. „Wie ein fahler Spuk/ schreibt 
ein anderer Holländer, „ergriff die Angst die Stadt Brüssel, diese Stadt des Frohsinns, 
der Freude und der Ueppigkeit; sie fegte den eingebildeten Triumph und die prahlerische 
Herausforderung hinweg mit gellendem Hohngelächter; trieb das Volk zum Wahnsinn 
und ballte es zu Scharen zusammen; vor sich her trieb der Schreck die Leute, weg, weit 
aus der Stadt, die den Feind, den furchtbaren Feind, den Ulan, den Totenkopfhusar, 
den mecklenburgischen Grenadier zu erwarten hgtte, die von diesen Horden ausgeplündert 
und gebrandschatzt und deren Bewohner erschossen und vergewaltigt werden würden, so 
wie es anderswo allgemein geschehen war. Das wußte doch ein jeder, und einer erzählte 
es dem andern. Gesehen freilich hatte es niemand, aber wohl gelesen und gehört, von 
überall und allenthalben. Also hinweg, nur hinaus, hinaus, ehe „sie" da sind!" 
Man steht: die dauernden Lügenmeldungen über Greueltaten deutscher Soldaten, 
mit denen die belgische Presse ihre Leser überschüttet hatte, rächten sich jetzt am eigenen 
Volk in Gestalt dieser Todesangst, und das um so schlimmer, als dieselbe Presse gleich 
zeitig spaltenlange Berichte über die Kriegsunlust der deutschen Truppen gebracht hatte. 
Ein Brüsseler erzählt: „Tage- und wochenlang hatte man hier von nichts anderem gehört 
als von den Deutschen, die nicht schießen könnten, von den Deutschen, die nicht kämpfen 
möchten, von den Deutschen, die schier verhungerten, und nun stehen sie auf einmal vor 
den Toren, haben das belgische Heer vor sich hergetrieben, und die Brüsseler Bevölkerung 
sieht auf die Straßenbarrikaden, von denen es so viel erwartete, und begreift nur schwer, 
oder gar nicht, jedenfalls nicht ohne Murren, daß die Militärverwaltung der Hauptstadt 
mit ihrer Wegräumung eine sehr weise Tat vollbracht hat. Einen Augenblick schien es 
mir, es war gestern abend, als ob das Schrecklichste in Erfüllung gehen sollte: daß die 
Bürgerwehr, brave, opferwillige, pflichtgetreue Bürger im Soldatenkleide, eifrige Hüter 
der Ordnung, gegen die Deutschen ins Feuer geführt werden würden. In geschlossenen 
Kompagnien, mit Hörnerklang und Kriegsgesang zog die zaräs vivigas zum Nordbahn- 
hof, von einer erregten Menge mit Freudenrufen begleitet. Allein zum Glück waren es 
nur die Abteilungen aus der Provinz, die nun heimkehrten, oder Brüsseler, die ihre 
Waffen abliefern gingen. Diese wurden in Massen aus dem Bereich der Deutschen weg 
geschafft, dahin, wo die belgischen Truppen schon gezogen waren. Die allgemeine Ent 
waffnung Brüssels war befohlen, und die Behörde beschränkte sich darauf, in Aufrufen 
des Bürgermeisters und des Ministers des Innern die Bürgerschaft zur Ruhe zu mahnen 
und vor Gewalttaten zu warnen. Brüssel war aufgegeben." 
An den großen Bahnhöfen drängten sich Tausende, die vor der Ankunft der Deutschen 
die Stadt verlassen wollten. Selbst Familien des Adels begannen aus ihren Pa 
lästen zu fliehen und saßen trotz ihres Namens und Geldes genau wie die Armen auf 
ihren Gepäckstücken im Nordbahnhof, um über Ostende nach England zu fliehen. Doch 
wurde der Eisenbahnverkehr bald eingestellt. Auch Autos waren nicht mehr zu haben. 
Am 20. August um 11 Uhr vormittags zogen die ersten deutschen Kavallerie 
abteilungen an der Porte de Louvain ein. Bürgermeister Max war den deutschen
	        
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