Volltext: Der Völkerkrieg Band 1 (1 / 1914)

Die Gärung in den russischen Provinzen 107 
lungen. Im Kohlenrevier an der Grenze Galiziens und Schlesiens erhoben die Ein 
berufenen bewaffneten Widerstand; von 3800 Mann, die sich z. B. in Czenstochau gestellt 
hatten, kehrten 3600 heim! Wäre die Gesinnung der Polen den Russen gegenüber 
anders, so könnte Rußland eine bedeutende Armee in Russisch-Polen rekrutieren, min 
destens 500 000 Mann, und brauchte sich aus Polen nicht zurückzuziehen. So aber 
bleiben die polnischen Militärpflichtigen daheim und werden massenweise den aus 
Oesterreichisch-Polen einrückenden Freischaren zuströmen." 
9. August. 
Der österreichische Oberbefehlshaber hat beim Einmarsch seiner 
Truppen in Russisch-Polen folgenden Aufruf verbreiten lassen: „An das polnische 
Volk! Durch den Willen Gottes, der die Schicksale der Völker lenkt, und durch die Macht 
unserer obersten Kriegsherren überschreiten die verbündeten österreichisch-ungarischen 
und deutschen Armeen die Grenze. Hiermit bringen wir auch den Polen Befreiung 
vom moskowitischen Joche. Begrüßt unsere Fahnen mit Vertrauen; sie bringen euch 
Gerechtigkeit! Sie sind euch und euren Stammesbrüdern nicht fremd. Millionen des 
polnischen Volkes sind seit nahezu anderthalb Jahrhunderten im Verbände der Donau 
monarchie sowie des deutschen Reiches zu hervorragender kultureller Entwicklung ge 
langt, und schon seit den Zeiten des Königs Sobieski, der einst den bedrohten Staaten 
der Habsburger tatkräftige Hilfe brachte, sind die ruhmreichen Traditionen Polens auf 
das innigste mit seinen westlichen Nachbarstaaten verknüpft. Wir kennen daher und ver 
stehen die Ritterlichkeit und hohe Begabung des polnischen Volkes. Die Schranken zu 
sprengen, die euren Verkehr mit den Errungenschaften der westlichen Kultur behindern 
und euch alle Schätze geistigen und wirtschaftlichen Aufschwungs vorenthalten, ist die 
Aufgabe, die uns aus diesem Feldzuge erwächst. Polen! Vertraut euch freudig und rück 
haltlos unserem Schutze an! Unterstützt uns in unseren Bestrebungen aus voller Seele! 
Jedermann vertraue auf die Gerechtigkeit und Milde unseres erhabenen Kriegsherrn 
und erfülle die Pflichten seines Berufes, die Pflichten zur Erhaltung seiner Heimstätte, 
die Pflichten, die der Wille Gottes des Allmächtigen durch die gegenwärtige Wendung 
euch vorgezeichnet hat. Das Oberkommando der k. k. österreichisch-ungarischen Armeen." 
14. August. 
Die russischeRegierung macht große Anstrengungen, die polnische Bevölkerung 
für ihre Sache zu gewinnen. In einem Aufruf, der in Russisch-Polen verbreitet 
wurde, und der vom Zaren, von sämtlichen Großfürsten und von der Regierung unter 
zeichnet ist, wird den Polen versprochen, daß sie, wenn sie eine loyale Haltung gegenüber 
Rußland einnehmen, nach dem Kriege eine Autonomie nach der Muster der Verfassung 
von 1815 erhalten. Eine Proklamation gleichen Inhalts hat der Oberbefehlshaber der 
russischen Armee, Großfürst «N i k o l a j ewitsch, an die Polen erlassen. „Unter dem 
Zepter des Zaren," heißt es hier, „wird Polen neugeboren werden, frei in seiner 
Religion und Sprache. Die russische Selbstregierung erwartet von euch nur gleiche 
Achtung für die Rechte der andern Stämme, mit denen die Geschichte euch verbunden 
hat. Von den Ufern des Stillen Ozeans bis zur Nordsee sind die russischen Heere im 
Anmarsch. Die Morgenröte eines neuen Lebens beginnt für euch, und in dieser glor 
reichen Morgenröte erblickt man das Zeichen des Kreuzes, Sinnbild der Leiden und der 
Auferstehung der Völker!" 
Ein weiterer Aufruf des Zaren richtet sich an die polnischen Juden. Er er 
innert „seine lieben Jüdchen" an die vielen Wohltaten, die sie in ganz Rußland und be 
sonders auch vom Hause Romanow genossen haben und fordert sie auf, sich freiwillig 
zum Militärdienst zu stellen, da die Interessen der Juden mit denen des russischen 
Reiches eng verbunden seien.
	        
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