Volltext: Der Völkerkrieg Band 11 (11 / 1918)

Als das erste Rettungsboot, beladen mit Passagieren, die Wasserfläche glücklich er 
reicht hat, springen weitere Personen auf es herab; den einen glückt das Wagnis, andern 
wird der Sprung zum Verhängnis, denn ste ziehen sich entweder Verletzungen der Glied- 
maßen zu oder verschwinden direkt in den Fluten. Damit nicht genug des Unheils. Dieses 
erste Boot kippt um, und etliche Insassen ertrinken. Inzwischen war ich Zeuge des 
weitern Kampfes um die Rettungsboote auf Deck. Ein zwingender Grund zu dieser Panik war 
aber gar nicht vorhanden, denn noch machte unser Koloß nicht die leiseste Miene, zu 
versinken. Ich bin fest überzeugt, wenn im richtigen Moment einige beruhigende Kommando 
rufe gegeben worden wären, hätte die Menge das Gefühl eines gewissen Schutzes be 
kommen müssen und es wäre nicht zu diesen Szenen gekommen. Darin leider versagte die 
Organisation bedenklich. Ich fand schließlich im dritten Boot Platz. Nachdem ich vorerst 
noch einer Frau behilflich gewesen war, erreichte ich an einem Seil der Schiffswand 
entlang glücklich das Boot. Aber es brachte uns allen eine große Enttäuschung: das 
„Rettungs"-Boot war — durch und durch leck und füllte sich natürlich sofort mit Wasser. 
Immerhin konnten wir uns durch eifriges Wasserschöpsen solange über der Fläche hallen, bis 
es uns gelang (nach etwa 2 Stunden), wieder zum Wrack der „Sussex" zurückzurudern. 
Matrosen hatten wir keinen bei uns, wir mußten selbst rudern. Zu unserer großen Ver 
wunderung und Beruhigung hatte das Schiff immer noch keine Lage eingenommen, die auf 
einen baldigen Untergang hätte schließen lassen. Aber unsere Situation im kleinen lecken 
Boot auf offenem Meere draußen war um so bedenklicher. Sie wurde verschlimmeit durch den 
Zustand einiger unserer Insassen, die ohnmächlig auf den Schiffsboden sanken, andere blu 
teten aus Mund und Nase und Ohren. Trotzdem gelang uns schließlich — das Meer war 
durchaus ruhig — die Rückkehr zur „Sussex", wo wir uns vermittelst Seilen bis zu den 
ersten Schlupfluken emporarbeiten konnten. Ich stellte dabei fest, daß nur der Vorderteil des 
Schiffes zerstört war, und ich vernahm, daß hauptsächlich diejenigen Passagiere, die sich in der 
Erslklaßkabine und im Speisesalon oder im Rauchsalon aufgehalten hatten, der Katastrophe 
direkt zum Opfer gefallen waren. Amerikaner,die mirpersönlich den Eindruck durchaus ruhiger 
und unvoreingenommener neutraler Beobachter machten, versicherten mir. die Explosion wäre 
unmittelbar erfolgt, nachdem sie sich gegenseitig untereinander durch Fingerzeig aufmerksam 
gemacht hätten auf einen langen weißen schaumartigen Wasserstreifen, der direkt gegen unser 
Schiff loszielte und nur von eincm Torpedo herrühren konnte. Einer der Amerikaner will das 
Wort „Torpedo!" sogar einige Sekunden vor der Katastrophe warnend ausgerufen haben. 
Nach Berichten englischer Blätter, die mir dieser Tage zu Gesicht gekommen sind, will 
auch der Kapitän die nämliche Beobachtung gemacht haben. 
Das fatalste war, daß durch die Explosion der Mast, der mit dem Marconi-Apparat in 
Verbindung stand, zerstört worden war, so daß die Absendung radiotelegraphischer Hilferufe 
während mehrerer Stunden unmöglich wurde. Man suchte uns zu beruhigen, indem man 
uns versicherte, daß die Sache bald repariert werden könne. Bis gegen Abend war die Re 
paratur in der Tat gelungen. Ich habe später vernommen, daß ein abgesandtes Tele 
gramm unserer „Sussex" bei der Empfangsstation in Boulogne richtig aufgefangen worden 
fein soll. Die 8 Stunden aber, die wir in banger Erwartung und unter der fürchter 
lichen Qual der Ungewißheit unserer Rettung durchzumachen hatten, werde ich Zeit meines 
Lebens nie vergessen. Wohl kam uns einmal ein großes Segelschiff aus etwa 2 Meilen 
Entfernung in Sicht; wir machten uns durch Leuchtraketen bemerkbar, und es kann kein 
Zweifel darüber bestehen, daß das Schiff unsern Hilferuf bemerkt haben muß. Gleichwohl 
machte es — kehrt und änderte seinen Kurs, ohne sich um uns zu bekümmern. 
Unsere Rettung haben wir meiner Ansicht nach nicht zuletzt dem schönen klaren Wetter, 
vor allem aber dem glücklichen Umstand zu danken, daß der Maschinenraum unversehrt 
geblieben war, so daß kein Wasser eindringen konnte. Die Schotten des vorder» Schtffs-
	        
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