Volltext: Der Völkerkrieg Band 7 (7 / 1917)

Die Defensiv-Schlacht zwischen Riga und Pinsk 237 
Russische Geschichten 
Von Rudolf v. Koschützky 
Durch das Scherenfernrohr war bemerkt worden — der Divisionsgeneral hatte es selbst 
gesehen — daß hinter der beschossenen russischen Schützenlinie eine andere Schützenkette auf 
tauchte und die erste unter Feuer nahm. Zunächst nahm man an, daß eine unserer Ab 
teilungen irgendwie dem Gegner auf nahe Entfernung in den Rücken gekommen sei. Bei 
genauem Hinsehen aber zeigte sich, daß die Russen gegen diese neue Schützenlinie nicht 
Front machten, trotzdem sie fortfuhr, nach ihnen zu schießen. Die weitere Beobachtung 
ergab dann zweifellos, daß die hintere Schützenkette, rechts und links von einem Stabe 
ausgeschwärmt, ebenfalls aus Russen bestand, die von hinten ihre Kameraden beschossen, 
um sie zum Vorgehen zu bringen. 
Ein anderer, noch schlimmerer Fall wurde bei einer Infanterie-Brigade festgestellt. 
Dort lagen die Russen auf 600 Meter in Schützengräben vor unserer Front. Niemand 
läßt seinen Kopf sehen. Plötzlich erscheinen fünf Russen oben auf der Brustwehr des 
Schützengrabens und beginnen Griffe zu üben. Ein bequemes Ziel für unsere Leute. 
Sie schießen. Vier Russen fallen, der letzte springt in den Graben zurück, wieder heraus 
und so noch einige Male. Am Abend des Tages wird dem Stabe ein russischer Ueber- 
läufer gemeldet. Der Mann, dem der Zeigefinger der rechten Hand fehlt, erzählt 
folgendes: Ihrer fünf seien zur Strafe von ihren Offizieren gezwungen worden, auf dem 
Grabenrande Griffe zu machen. Zwei hätten die Deutschen erschossen, zwei verwundet, 
er selbst habe sich dann geweigert, weiter oben zu bleiben; dafür hätten ihm die Offiziere 
eigenhändig den Zeigefinger der rechten Hand abgeschnitten. Nun sei er desertiert. 
Seitdem ist es bei den Deutschen verboten, aus Griffe übende Russen zu schießen. 
Wir bedanken uns, Henkersknechte für die Russen zu spielen. 
* * * 
Am 10. September 1915 am Morgen ritten wir von Steinfeld etwa 15 Kilometer in 
östlicher Richtung vor bis auf die Höhen von S lud re. Auf dem Rückwege gab es 
einen Halt beim Brigadestab. Auf einer sonnigen Wiese gegenüber einem langen Bauern 
hause saß eine Kompanie Infanteristen im Grase. Die Leute putzten ihre Gewehre und 
sangen dazu mit halblauter Stimme. Bei diesem Aufenthalt hörte ich die Geschichte 
von den vierundzwanzig Russen, die sich bei dem Gefecht von Friedrichstadt in einem 
Feldkeller beim Pastorat verschanzt hatten. Ein Offizier und dreiundzwanzig Mann, 
die sich von Vormittag um elf bis zum Dunkelwerden in ihrer unterirdischen Festung 
gegen die preußische Uebermacht verteidigten, die sie von allen Seiten eingeschlossen 
hatte. Erst wußte man nicht, woher die Kugeln kamen, die einige der Unseren nieder 
streckten. Dann begann die Belagerung und Beschießung durch die Decke des Kellers 
hindurch. Ebenso schossen die von innen durch die Decke, da sich vor der Kellertür 
niemand sehen ließ. Von Zeit zu Zeit wurde den Belagerten ehrenvolle Uebergabe an 
geboten. Die Russen aber nahmen sie nicht an, >auch nicht, als es unseren Mus 
ketieren zu dumm wurde und sie eine Handgranate holten. Als die Russen auf 
die Androhung dieser Donnerwaffe hartnäckig blieben, stellte sich ein Musketier breit 
beinig über die Kellertür und schleuderte das Geschoß zwischen den Beinen hindurch in 
den Keller, worauf es dort unten still wurde bis auf das Stöhnen der Verwundeten. 
Als es dunkel geworden war, riefen die Unseren hinein, sie sollen hervorkommen. „Nicht 
schießen; alles kaput. Mlles kaput" antworteten sie. „Also kommt raus!" „Nein!" 
„Dann holen wir noch eine Handgranate . . ." Endlich kommen ein Offizier und fünf 
zehn Mann aus dem dampfenden Kellerloch gehumpelt. Alle verwundet. Man empfängt 
sie ohne Feindseligkeit. Der Soldat hat Achtung vor tapferem Verhalten, auch beim 
Feinde. Acht blieben im Keller. Unverletzt war kein einziger.
	        
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