Volltext: Der Völkerkrieg Band 7 (7 / 1917)

132 Die Ereignisse an der O st front im dritten Kriegshalbjahr 
Die Räumung von Riga, Dünaburg, Wilna und Minsk 
Nach englischen Blättermeldungen war bereits am 8. August 1915 mit der Räumung 
der Stadt Riga begonnen worden, von der Professor Astrow aus Riga nach seiner Ankunft 
in Moskau in der „Nowoje Wremja" folgendes erzählte: „General Zalobowski, der mit der 
Räumung Rigas beauftragt worden war, besuchte gleich am ersten Tage seiner Ankunft alle 
industriellen Anlagen und ordnete an, daß sämtliche Fabriken, besonders aber jene, die wie 
die Automobilfabriken, für die Landesverteidigung arbeiteten, gänzlich zu räumen seien. 
Da den Fabrikdirektoren diese Art von Räumung unerwünscht war, haben sie sich den 
Befehlen des Generals von Anfang an energisch widersetzt. So hat beispielsweise die 
russische baltische Waggonfabrik alles mögliche aufgeboten, um die Räumung zu ver 
zögern. Aber auch die Bahnverwaltungen haben dem General Schwierigkeiten bereitet, 
was alles die Räumung aufgehalten hat. Dessen ungeachtet waren am 10. August bereits 
siebzehn Fabriken völlig geräumt und Anfang September hundert der größten Fabriken, 
auch die Gummifabrik Prowodnik, die noch bis zuletzt Tausende von Arbeitern beschäftigte, 
geschlossen, so daß der General schließlich doch seinen Willen durchgesetzt hatte." Aller 
dings sollen dabei nach der Petersburger „Handels- und Jndustriezeitung" Holzvorräte 
im Werte von 31 Millionen Rubel vernichtet worden sein, weil die Gelegenheit zur 
Verfrachtung auf der Eisenbahn gefehlt habe. 
Bald daraus verließen das Rote Kreuz, die Kanzleien, der Militärchef und die Polizei 
verwaltung die Stadt; viele Deutschen wurden zwangsweise nach Petersburg gebracht, 
die deutsche Sprache verboten und alle deutschen Briefe von der Zensur vernichtet. 
Dann reisten die Geistlichen, die Aerzte und das Krankenhauspersonal, die Bank- und 
Postbeamten wie die Eisenbahner, zahlreiche Familien und die Mehrzahl der Arbeiter, 
von 74 000 etwa 50000, ab, so daß die Stadt bis Mitte September fast völlig ge- 
geräumt war. Die Zeitungen erschienen nicht mehr; der Telephon- und Trambahnbetrieb 
wurde eingestellt und die Wagen der Trambahngesellschaft nach Moskau, Petersburg oder 
Oranienbaum überführt. Da ein empfindlicher Kleingeldmangel eintrat und die Einfuhr 
von mehr als fünf Rubel Kleingeld verboten worden war, gab die Stadtverwaltung 
Kopekenzettel aus. Gold, Silber, die Wertsachen der Leihanstalten, alte Kanonen und 
Glocken waren schon früher nach Moskau verbracht worden. Dabei sollen auf einzelnen 
der Glocken Sinnsprüche entdeckt worden sein, die der aus höheren russischen Militärs, 
Stadträten und Geistlichen bestehenden Kommission einige Verlegenheit bereitet hätten; 
so aus einer Glocke der Jakobikirche der Wahrspruch: 
„Gott schütze uns vor der Pest und vor den Russen!" 
und auf einer anderen die Weissagung: „Wer mich berührt, Riga verliert." 
Gleichzeitig wurden nach einem Bericht des „Rjetsch" alle Bewohner des Gebietes 
zwischen Riga und Dünaburg ausgewiesen und beauftragt, zuvor die ganze Ernte 
zwischen der Westdüna und dem livländischen Flusse Aa zu zerstören. Die lettische Presse 
riet jedoch den fliehenden Bauern, wenn die Deutschen kommen, auf ihren Gütern zu 
bleiben, da die Flüchtlinge im Innern Rußlands nichts Gutes zu erwarten hätten. 
Am 10. September 1915 war nach Angaben der „Nowoje Wremja" auch die Räumung 
der Stadt Dünaburg (Dwinsk) beendet. Alles Kupfer wurde zwangsweise requiriert 
und der größte Teil der Güterwagen der Bahn Riga—Orel der Petersburger Bahn 
einverleibt, so daß es in Dünaburg fast keine Züge mehr gab und die Flüchtlinge ihre 
Güter nicht mitnehmen konnten. Die Werkstätten der Riga—Orel-Bahn, die einen großen 
Teil des russischen Munitionsbedarfs herstellten, sind nach Orel verlegt, die Lazarette 
ins Innere Rußlands überführt worden. In der Stadt selbst war jedes Leben er 
storben, nur in den Vorstädten trieben sich noch die armen zurückgebliebenen Einwohner 
umher. Der Mangel an Kleingeld, an Brot und Milch machte sich besonders fühlbar.
	        
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