Die Offensive der Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls von Hindenburg 123
in einer Unterschätzung der Ausdauer der österreichisch-ungarischen und deutschen Streit-
kräfte und dann in einer Ueberschätzung der Stoßkraft des in Bessarabien neu gesam
melten Heeres zu suchen. Dies bestand aus ganz jungen und ziemlich alten Mannschaften
der Reichswehr, unter die gewissermaßen als Triebmittel asiatische Truppenteile, darunter
auch Turkmenen, vermengt worden waren, war aber nur schnell und wahrscheinlich un
zulänglich ausgebildet worden und litt, wie das ganze russische Heer, unter dem mora
lischen Eindruck des vielmonatigen Rückzugs vom Dunajec bis zu den Pripjetsümpfen.
„Andererseits muß die Tapferkeit der russischen Heere und die rege Tätigkeit der rus
sischen Heeresleitung, die versuchte aus den Erfahrungen des Krieges Lehren zu ziehen,
anerkannt werden," schreibt Major a. D. Moraht an anderer Stelle im „Berliner
Tageblatt" (19. XI. 15). „General Iwanow konzentrierte hinter seiner zum Durchbruch
bestimmten Front unter Ausnutzung des günstigen Eisenbahnnetzes im Raume der zur
Verfügung stehenden Endpunkte der großen Strecken (Sarny, Rowno, Tarnopol) seine
Reserven. Er stellte Artillerie- und Brückenmaterial bereit und verstand es, ähnlich
wie die Verbündeten seinerzeit am Dunajec, einen Schleier über seine Absichten zu breiten.
Er ließ das Trommelfeuer, wie die Franzosen es in Frankreich tun, wirken, verstand
es, das Sperrfeuer auszunutzen, und hütete stch, nach kleinen Mißerfolgen sogleich zum
reinen Stellungskrieg überzugehen. Daher fanden beide Parteien wiederholt Gelegenheiten
zu Operationen in der Flanke des Gegners, und die Episoden eines örtlichen Bewegungs
krieges waren nicht selten."
Die Armee Pflanzer-Baltin aber hielt mit unerschütterlichem Mut und bewunderns
werter Hingebung unter Kampsesbedingungen, die infolge der höchst ungünstigen Witte
rung überaus schwierig waren, allen Anstürmen vielfacher Uebermacht stand, und folgte
damit dem herrlichen Beispiel, das ihr ihre Brüder am Jsonzo gaben und vordem in
den Karpathen gegeben hatten. Dadurch ermöglichten sie die mit gewaltiger Stoßkraft
angesetzte und in sieben Wochen siegreich beendete Offensive der Mittelmächte auf dem
südöstlichen Balkankriegsschauplatz, die diesen bis dahin scheinbar außerhalb
der eigentlichen Kampffront gelegenen Kriegsschauplatz in die Operationslinie einfügte
und ihm einen für die weitere Gestaltung der Kriegsereignisse maßgebenden Platz anwies.
Die Offensive der Heeresgruppe des General
feldmarschalls v. Hindmburg
Vom 12. August bis 4. September 1915
Chronologische Uebersicht nach den Meldungen d. deutschen Obersten Heeresleitung
Einzelne Meldungen des russischen Großen Generalstabs sind zur Ergänzung beigegeben
13. August 1915.
Die Angriffstruppen gegen Kowno machten Fortschritte (vgl. die Meldungen IX. S. 95 f.).
Am Dawina-Abschnitt wiederholten die Russen ihre Angriffe ohne jeden Erfolg.
Zwischen Narew und Bug ging es weiter vorwärts, obgleich der Gegner immer neue Kräfte
heranführt und sein Widerstand von Abschnitt zu Abschnitt gebrochen werden muß. Die Armee des
Generals v. Scholtz machte gestern 900 Gefangene und erbeutete drei Geschütze und zwei Maschinen
gewehre. Bei der Armee des Generals v. Gallwitz wurden seit 10. August 1916 6550Russen,
darunter 18 Offiziere, gefangen genommen und neun Maschinengewehre und ein Pionierdepot erbeutet.
Aus der russischen Meldung: In der Gegend südöstlich von Mit au wurden die Deutschen
am 12. August durch unsere Truppen über die Aa zurückgedrängt. Während des Rückzuges des
Feindes haben wir Gefangene gemacht. In der Richtung von Jakob st adt, von Dwinsk (Düna
burg) und Wilkomierz bedrängen wir den Feind ebenfalls und überwinden seinen hartnäckigen
Widerstand. In der Gegend von Kowno haben die Deutschen ihre Angriffe vorübergehend ein
gestellt. Der Artilleriekampf dauert fort. Auf der Front zwischen Narew und Bug erleichterte